Hat die EU-Taxonomie das Potenzial zu wirklicher Veränderung?

Die EU-Taxonomie ist ein wichtiges Element in der Strategie der Europäischen Union, um Finanzmittel in nachhaltige Investitionen zu lenken. Ihre Wirkung werde sie jedoch erst mit der Zeit entfalten, meint Karsten Löffler. Er ist Vordenker für eine nachhaltige Finanzwirtschaft und leitet bei der Frankfurt School of Finance & Management das UNEP Collaborating Centre for Climate & Sustainable Energy Finance. In seinem Beitrag schreibt Löffler außerdem, warum er eine Erweiterung um eine soziale Taxonomie sowie weitere Abstufungen im Umweltbereich befürwortet.

Von Karsten Löffler

In ihrer gegenwärtigen Form ist die EU-Taxonomie eine Liste von Wirtschaftsaktivitäten, die bei Erfüllung bestimmter Kriterien einen substanziellen Beitrag zu mindestens einem der sechs Umweltziele der EU[1] leisten und den anderen fünf Umweltzielen nicht grob zuwiderlaufen. Die EU-Taxonomie soll den Finanzmarktakteuren die Einschätzung der Umweltwirkung ihrer Finanzierungsaktivitäten erleichtern.

Die EU-Kommission hat die Taxonomie bereits 2018 ins Zentrum ihres Aktionsplans für nachhaltiges Wachstum gestellt. Der Gedanke ist einfach: Transparenz darüber, welche Wirtschaftsaktivitäten grün sind, soll Finanzmarktakteure wie Vermögensverwalter, Versicherer, Pensionsfonds und Banken bei der Identifikation solcher Investitionen unterstützen. Denn vielfach stellte sich die Frage, welche Investitionen und Finanzierungen tatsächlich als grün einzustufen sind. Die Kommission erhofft sich dadurch, dass Kapitalströme vermehrt in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten gelenkt werden.

Die Aufnahme der Stromerzeugung aus fossilem Gas und Atomenergie hat die Aufmerksamkeit für die EU-Taxonomie massiv erhöht; leider widersprechen diese Ergänzungen ihrer inneren Logik. Unter anderem werden andere Ziele wie die Energiesicherheit mit Umweltzielen in einen Topf geworfen, das Konzept der Technologieoffenheit verletzt und die Atommüllentsorgung implizit als gesichert angesehen. Dies sollte jedoch nicht davon ablenken, welche Wirkung die EU-Taxonomie dennoch entfalten kann.

Transparenz führt zu Veränderung, über die Finanzwirtschaft hinaus

Die EU-Taxonomie sieht vor, dass Finanzmarktakteure in Kürze den Anteil der Taxonomie-konformen Investitionen und Finanzierungen veröffentlichen müssen – ein nicht zu unterschätzender wettbewerblicher Anreiz für mehr Nachhaltigkeit. Seit August 2022 müssen Finanzdienstleister systematisch die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden abfragen, um ein passendes Produktangebot zu machen. Auch deshalb wird die EU-Taxonomie im Kundengeschäft voraussichtlich eine zunehmende Rolle spielen.

Da die von der EU-Taxonomie genannten Wirtschaftsaktivitäten vor allem das produzierende Gewerbe betreffen, kommt es darauf an, dass die Finanzmarktakteure die passenden Informationen zur Verfügung haben. Deshalb hat die EU-Kommission das ursprüngliche Taxonomiekonzept um Berichtspflichten für alle großen europäischen Unternehmen erweitert. Bisher sind Finanzmarktakteure häufig auf geschätzte Daten angewiesen.

Die Taxonomie dient aber auch zunehmend staatlichen Akteuren als Orientierung für die Vergabe von Unterstützungsleistungen und die Begebung von Staatsanleihen.

Erweiterung über Umweltziele hinaus notwendig

Das Taxonomiekonzept der EU Kommission sollte erweitert werden. Denn einerseits bleiben substanzielle soziale Beiträge von Investitionen und Finanzierungen bisher außen vor; und das in einer Zeit, in der Umwelt- und soziale Wirkungen nicht mehr getrennt gedacht werden können. Andererseits würde eine Erweiterung des Umwelttaxonomiekonzepts um Informationen zu wirtschaftlichen Aktivitäten zur Erhöhung der Transparenz beitragen. Dies meint sowohl Aktivitäten, die (i) den EU-Umweltzielen zuwiderlaufen wie auch zu solchen, für die (ii) glaubhafte Schritte zur Verbesserung ihrer Umweltleistung eingeleitet wurden, jedoch noch nicht den Anforderungen der EU-Taxonomie genügen, oder die (iii) weder einen wesentlichen positiven noch negativen Einfluss auf die EU-Umweltziele haben. Viele Aktivitäten des Dienstleistungssektors dürften in diese dritte Kategorie fallen.

Soziale Taxonomie

Die Vorschläge zur sozialen Taxonomie orientieren sich grundsätzlich an der Umwelttaxonomie. Allerdings ist für die soziale Taxonomie ein Zusatznutzen über das normale Maß von Wirtschaftsaktivitäten hinaus von zentraler Bedeutung. Häufig genannte Beispiele sind die Durchsetzung von Menschenrechten und der Zugang zu Gesundheitsleistungen. Anders als die in der Regel naturwissenschaftlich abgeleiteten Umweltziele bezieht sich der Vorschlag für eine soziale Taxonomie auf maßgebliche internationale Standards der Vereinten Nationen und der OECD. Als soziale Ziele werden menschenwürdige Arbeit unter Einschluss der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in der Lieferkette, ein angemessener Lebensstandard und Wohlergehen für die Verbraucher und Verbraucherinnen sowie integrative und nachhaltige Gemeinschaften und Gesellschaften genannt. Diese können entweder durch einen zusätzlichen sozialen Nutzen der Tätigkeit selbst (z. B. Forschung zu Medikamenten) oder durch die Vermeidung negativer Auswirkungen (z. B. durch Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen am Arbeitsplatz) erreicht werden.

Fazit

Die EU-Taxonomie ist ein schlafender Löwe. Sie hat das Potenzial, in den nächsten Jahren zu einem Kernelement der Transformation unserer Wirtschaft und damit der Veränderung hin zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem innerhalb der planetaren Grenzen zu werden.

Es kommt nun darauf an, die EU-Taxonomie sukzessive und auf wissenschaftlich fundierter Basis weiter auszubauen und laufend zu aktualisieren. Das betrifft zum einen die von der Umwelttaxonomie abgedeckten Wirtschaftsaktivitäten ebenso wie die Erweiterung des Taxonomiekonzepts über das bisherige Grün- bzw. Nicht-Grün-Denken hinaus. Zum anderen besteht bei den Finanzmarktakteuren grundsätzlich eine große Offenheit für eine soziale Taxonomie. Die EU-Kommission aber auch den EU Mitgliedsstaaten haben hier eine wichtige Rolle. Zumindest kurzfristig scheinen sie sich jedoch zu scheuen, die wichtigen nächsten Schritte zu machen.

Über den Autor:
Karsten Löffler ist Diplom-Kaufmann. Bis 2017 war er Geschäftsführer von Allianz Climate Solutions. Seitdem leitet der das Frankfurt School – UNEP Collaborating Centre for Climate & Sustainable Energy Finance. Daneben ist er Geschäftsführer des Green and Sustainable Finance Cluster Germany. Von 2019 bis 2021 war er Vorsitzender des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung. Als Mitglieder der Technical Expert Group on Sustainable Finance der EU Kommission von 2018 bis 2020 war er an der Entwicklung der technischen Kriterien für die EU-Taxonomie beteiligt. Von 2020 bis 2022 war er als Mitglied der EU Platform on Sustainable Finance mit Fragen der Erweiterung der EU-Taxonomie befasst.

Hinweis:
Karsten Löffler wird in Tutzing im Rahmen der Veranstaltung mit dem Titel “Sozialunternehmen – Wirtschaften für den Menschen” vom 9.-11. September 2022 über die Wirkung der EU-Taxonomie sprechen. Alle Informationen zum Programmablauf und die Möglichkeit sich anzumelden, finden Sie hier.

Dieser Beitrag ist zugleich die Gastkolumne im September-Newsletter der Evangelischen Akademie Tutzing. Er erscheint am 30.8.2022. Mehr dazu hier.

[1] 1. Treibhausgasvermeidung, 2. Klimaanpassung, 3. nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, 4. Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Abfallvermeidung und Recycling, 5. Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, 6. Biodiversität und Schutz gesunder Ökosysteme.