Freiheit und Demokratie
Es gilt das gesprochene Wort!
Freiheit und Demokratie
Grußwort anlässlich der 5. Tutzinger Lichterkette am 28. Januar 2019
Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing
Nur zwei Prozent der Weltbevölkerung leben in Ländern mit einer offenen Zivilgesellschaft. Das geht aus einer Untersuchung von CIVICUS hervor, einem weltweiten Netzwerk für Bürgerbeteiligung. Dieses Netzwerk wertet seine Erkenntnisse regelmäßig aus und teilt die Entwicklung in fünf Stufen ein: offen, eingeengt, beschränkt, unterdrückt, geschlossen. Wir in Deutschland sind demnach privilegiert.
Als wir uns 2015 zur ersten Lichterkette versammelten, ging es darum, die Stimme zu erheben für Menschen in Not und Kräfte zu mobilisieren, um Notleidenden wirksam zu helfen. Wir in Tutzing können stolz sein, dass wir am Ort ein gutes Miteinander pflegen, dass sich die Schulen, die Vereine, die Kirchen und auch einzelne Bürgerinnen und Bürger einbringen.
Lenken wir unseren Blick über Tutzing hinaus, dann stellen wir fest, dass sich in den letzten Jahren etwas verändert hat. Der Ton in den Debatten in Politik und Gesellschaft ist rauer, Rassismus und Antisemitismus sind wieder salonfähig geworden. Auch der Schwerpunkt der Lichterkette hat sich verlagert. Wer hätte gedacht, dass wir heute über die Zukunft von Freiheit und Demokratie in Deutschland sprechen müssen?
Ist unsere Demokratie schwach? Nein, das ist sie nicht. Aber sie ist gefährdet. Einhundert Jahre ist es her, dass in Deutschland die erste parlamentarische Demokratie entstand – die Weimarer Republik. Ihr Name gilt zugleich als Inbegriff des Scheiterns, denn 1933 gelangte Adolf Hitler an die Macht. Der jungen Pflanze Demokratie war es damals nicht gelungen, feste Wurzeln zu schlagen.
Wo steht die Bundesrepublik Deutschland einhundert Jahre später? Und ist der Staat des Grundgesetzes, der 1949 auf der Diktatur des Nationalsozialismus entstand, gefestigter als die Weimarer Republik? Die Antwort auf diese Fragen hängt vom Blickwinkel ab. Meines Erachtens schauen wir gegenwärtig zu sehr auf die Entwicklungen vor einhundert Jahren, und dann vor allem auch mehr auf den Weg in den Untergang als auf die bemerkenswerten Aufbrüche 1918/19: etwa die Etablierung einer demokratischen Verfassung und Wahlen, bei denen erstmals alle, auch Frauen, wählen durften.
Wenn wir den Blick nur auf die Katastrophe richten, werden wir weder Weimar noch unserer Zeit gerecht, in der wir über die politische Zukunft Deutschlands in Europa mitbestimmen. Lassen Sie uns deshalb den Blick auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg richten, auf die Gründung des Bundesrepublik Deutschland vor siebzig Jahren und die Entwicklung seither in Europa. Diese Geschichte macht mir Hoffnung, dass auch die aktuellen Krisen überwunden werden und wir gemeinsam an der europäischen Vision von Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden erfolgreich arbeiten können. Diese Vision, die wir mit vielen Ländern in Europa teilen, sie ist Auftrag und Verpflichtung auch für uns hier in Tutzing. Freiheit und Demokratie gibt es nur zusammen. Die Medien, die Justiz und auch die Zivilgesellschaft – also wir alle – garantieren, dass unsere Demokratie Freiheit gewährt: Dass dies auch in Zukunft so bleibt, dafür müssen wir gemeinsam eintreten!