Eine Chance, die vielleicht nicht wiederkehrt

Verglichen mit der Bundestagswahl vor vier Jahren kann die FDP in aktuellen Umfragen mit eindeutig besseren Werten punkten. Ob die Liberalen künftig aber auch mitregieren, da sind die Journalistin Angelika Finkenwirth und ihr Kollege Johannes Leithäuser skeptisch. Dass sich die Partei in der Pandemie als Bürgerrechtspartei profiliert hat, steht für sie aber außer Zweifel.

 

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Ihr Verhältnis ist von wechselseitiger Wertschätzung geprägt. Die Vorsitzenden von CDU und FDP, Armin Laschet und Christian Lindner, kennen sich – und empfehlen ihre schwarz-gelbe Koalition in Nordrhein-Westfalen auch als Modell für den Bund. Der Blick auf die aktuellen Umfragewerte zeigt jedoch, dass diese Konstellation nach dem 26. September eher unwahrscheinlich ist.

Drei Monate vor der Bundestagswahl sind naturgemäß noch viele Fragen offen. Zum Beispiel diese, ob die FDP das momentane Umfrageergebnis von 12,5 Prozent halten oder sogar ausbauen kann. Für Johannes Leithäuser, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), ist auch der Weg in die andere Richtung denkbar. In der Online-Veranstaltung der Evangelischen Akademie Tutzing erinnerte er daran, dass die FDP nach der missglückten Wahl des thüringischen Landesvorsitzenden Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten auf sechs Prozent im Bund abstürzte. Dass sich die Partei davon erholte, hat für Angelika Finkenwirth, Redakteurin im Ressort Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bei Zeit Online, den Grund darin, dass sich die Liberalen in der Corona-Pandemie als Rechtsstaatspartei profilieren konnten.

Die Leitfrage der Veranstaltung, „Regiert die FDP künftig im Bund wieder mit?“, hängt auch davon ab, ob die FDP für andere Konstellationen zur Verfügung stünde: etwa für Jamaika – mit Union und Grünen. Dieses Unterfangen war jedoch nach der letzten Bundestagswahl gescheitert, nachdem Christian Lindner die Verhandlungen mit dem Hinweis beendete: “Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.” Ein Satz, der bis heute nachwirkt und Lindner nach Einschätzung von Johannes Leithäuser zwingen könnte, im Herbst in eine Ampelkoalition mit Grünen und SPD einzuwilligen. Auch wenn die FDP Steuererhöhungen kategorisch ablehnt und laut eigener Aussage für Koalitionen mit Parteien, die diese fordern, nicht zur Verfügung steht, dürfte sie dennoch unter Zugzwang geraten. Ein Nein könne sich die Partei kaum leisten, meint der FAZ-Journalist.

One-Man-Show mit Blick fürs Team

Dass für Christian Lindner weder Jamaika noch die Ampel ein Thema ist, hängt für Leithäuser damit zusammen, dass die Chancen für die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock im öffentlichen Meinungsbild stark gesunken sind. Angelika Finkenwirth nennt als Grund für die ablehnende Haltung der FDP ihre Angst, zwischen Union und Grünen zerrieben zu werden. Dass CDU/CSU in ihrem Wahlprogramm ebenfalls Steuererhöhungen ausschließen, darin sieht die Zeit Online-Redakteurin ein Angebot an das eigene Wahlvolk. Das deutet auch Leithäuser so, der diese Festlegung als Signal an den Mittelstand interpretiert, den die Union nicht verlieren wolle. Um das sicherzustellen, müsse sie “ein wenig die FDP-Melodie spielen”.

Den Eindruck in der Öffentlichkeit, die FDP sei unter der Führung von Christian Lindner eine One-Man-Show, wollten auch Finkenwirth und Leithäuser nicht bestreiten. Die Partei habe 2013 den Wiedereinzug in den Bundestag verpasst und sei in eine existenzielle Krise geraten. Lindner habe, so Angelika Finkenwirth, die FDP “so geformt, wie sie zu ihm passt”. Um dem Eindruck seiner Dominanz entgegenzuwirken, habe der FDP-Vorsitzende beim letzten Bundesparteitag viel Zeit dafür verwendet, sein Team ausführlich vorzustellen. Der Eindruck der One-Man-Show entsteht nach Meinung Leithäusers jedoch zwangsläufig, wenn in einer kleinen Partei der Partei- und Fraktionsvorsitz in einer Hand liege. Aus der Sicht der Medien sei diese Person die Schlüsselfigur, die in Talkshows eingeladen und zitiert werde.

Dass die FDP es in der Ära nach Hans-Dietrich Genscher nicht leicht hatte, an einstige Erfolge anzuknüpfen, liegt für Johannes Leithäuser auch daran, dass das Amt des Bundesaußenministers nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und der Vereinigung Deutschlands an Bedeutung verlor. “Die Rettung der Welt war nicht mehr gefragt.” Dass die FDP dann unter Guido Westerwelle weiter auf das Außenministerium fixiert war, sei ihr nicht bekommen. Und heute spiele die Außenpolitik im Parteiprogramm der FPD eine nachrangige Rolle.

Die FDP neu denken

Laut Angelika Finkenwirth war es schon für Guido Westerwelle schlüssig, die FDP neu zu denken. Christian Lindner profiliere die Partei mit den Themen Bildung und Digitalisierung. Und nach Corona müsse sich der Staat wieder zurücknehmen. Zum liberalen Profil gehört es, die Bürgerrechte zu betonen (Finkenwirth) und die “Problemlösungskompetenz des Einzelnen” zu stärken (Leithäuser). Dazu passe auch, dass die FDP in der Umweltpolitik zum Beispiel das E-Auto nicht zum Maß erkläre, sondern technikoffen sei und auch auf Wasserstoff oder synthetischen Kraftstoff setze.

Ob einer der unterschiedlichen Kreise in der FDP – etwa den Freiburger Kreis (Bürgerrechte) oder den Schaumburger Kreis (Wirtschaft) – dominiert, und wenn ja, welcher, da waren sich Angelika Finkenwirth und Johannes Leithäuser nicht einig. Einigkeit hingegen bestand im Blick auf die Einschätzung der Nationalliberalen in der FDP, zu der auch der Thüringer Landeschef Thomas Kemmerich zählt. Sie hätten keine Bedeutung. Kemmerichs Wahl zum Ministerpräsidenten – mit den Stimmen den AfD – sei “zwar kein Betriebsunfall, aber auch nicht bewusst geplant gewesen”, so Leithäuser rückblickend. Es sei “viel Naivität” im Spiel gewesen. Nach den Worten von Angelika Finkenwirth habe die FDP durch diesen Vorgang “unfassbar an Glaubwürdigkeit verloren”. Dass die Bundes-FDP auf den Landesverband wenig Einfluss habe, zeige Kemmerichs unlängst erfolgte Wiederwahl als Landesvorsitzender in Thüringen, erinnerte der FAZ-Journalist.

Und regiert die FDP künftig im Bund wieder mit? “Sie will es”, so Johannes Leithäuser, “aber die Chance wie 2017 kehrt vielleicht nicht wieder zurück”. Angelika Finkenwirth sieht es so: Mehr denn je sei die Partei “nicht bereit, sich um jeden Preis zu verbiegen”.

Das komplette Gespräch zur Online-Debatte “Regiert die FDP künftig im Bund wieder mit?” können Sie hier abrufen.

 

Christian Bergmann

Hinweis:
Die Online-Veranstaltung war Teil unserer Reihe “Zur Bundestagswahl”, in der wir uns mit ausgewählten Parteien beschäftigen. Im Februar standen Armin Laschet, Markus Söder und die CDU/CSU im Mittelpunkt, am 17. Mai ging es um Annalena Baerbock und Bündnis 90/Die Grünen und am 7. Juni haben wir uns mit der SPD und ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz beschäftigt.

Bild: Online-Diskussion mit Angelia Finkenwirth, Johannes Leithäuser und Udo Hahn (Foto: eat archiv)

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