Digitalisierungsschub ist “unbedingt und dringend notwendig”
Ein Jahr Corona-Pandemie: Wie sind die Entwicklungen und getroffenen Maßnahmen aus wirtschaftspolitischer Sicht zu bewerten? Dazu befragte Studienleiter Martin Waßink im RotundeTalk Prof. Dr. Monika Schnitzer von der LMU München. Sie ist Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Im Gespräch nahm die Wirtschaftsweise Stellung zur Entwicklung der Staatsschulden, zum Stand der Digitalisierung in Unternehmen und Verwaltungen und weitete den Blick auf die gesamte Gesellschaft. In der Krise sieht sie – trotz vieler Härten für viele – auch konkrete Chancen.
→ Hier geht’s zum Video-Interview
Gleich zu Beginn verneinte Monika Schnitzer die These, dass die Corona-Pandemie zu einem weniger an Globalisierung führe. Die Unternehmen hätten lernen müssen, sich nicht auf eine Zulieferquelle zu belassen. Gerade in der Gesundheits- und Medizinbranche sei das bei der Maskenproduktion deutlich geworden. Zukünftig würden Unternehmen ihre Lieferkette stärker diversifizieren. Die könne durchaus bedeuten, dass manche Güter auch teurer würden. Diese Versicherung stabiler Lieferketten sei wichtig für Investoren, wenn diese den Wert von Unternehmen einschätzten. Auch die Einschränkung des freien Personenverkehrs durch Grenzkontrollen auch für Beschäftigte stelle einen Unsicherheitsfaktor dar, auf den Unternehmen reagieren müssten.
“Wir sind mit unseren Maßnahmen genau den richtigen Weg gegangen”
Der Bundesregierung stellte Monika Schnitzer zunächst ein gutes Zeugnis aus. Kurzarbeitergeld wäre eine wichtige und wirksame Unterstützung für viele Unternehmen gewesen. Die Gelder in Form von Krediten wären ebenso wichtig gewesen. Diese seien letztlich auch gar nicht ausgabenwirksam für uns Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, wenn diese Kredite zumindest teilweise zurückgezahlt würden.
Kritisch merkte Schnitzer an, dass man sich in der ersten Phase der Pandemie nicht auf die schließlich eingetretene zweite oder dritte Welle vorbereitet hätte. Viele hätten sich zu sehr auf die Corona-Warn-App verlassen und gehofft, dass alles nicht so schlimm würde. Auch sei die Zeit über den Sommer 2020 nicht genutzt worden, um für die Schulen eine Strategie zu entwickeln, digitalen Unterricht zu ermöglichen.
Das Problem der staatlichen Maßnahmen in der zweiten Welle der Pandemie im Herbst und Winter 2020 wäre dann vor allem gewesen, dass die gewählten Instrumente ganz neu waren. Diese Überbrückungshilfen wurden so noch nie durchgeführt und waren administrativ nicht vorbereitet – “da hätte man sich doch etwas mehr Geschwindigkeit gewünscht”.
Schuldenstand und künftige Generationen
Bei der Einschätzung zum Stand der Staatschulden verglich Monika Schnitzer die aktuelle Situation mit der Lage während der Finanzkrise. Derzeit liege die Schuldenquote Deutschlands bei etwa 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – bei der Bewältigung der Finanzkrise vor etwa zehn Jahren war dieser Schuldenstand sogar bis auf bei 80 Prozent angewachsen. Innerhalb zehn Jahre guter wirtschaftlicher Entwicklung war die Schuldenquote bis auf 60 Prozent gesunken. Dies zeige auch den Weg aus der Krise um mit der zusätzlichen Verschuldung umgehen zu können – stabiles Wachstum. Die Wirtschaftsweise bewertete auch die geldpolitischen Maßnahmen im Zuge der Krise. Auch für die geldpolitischen Entscheiderinnen und Entscheider sei die Finanzkrise 2007 und 2008 eine Lektion gewesen: um aus der Finanzkrise zu lernen und für Unternehmen sei es wichtig gewesen, schnell genug Liquidität bereit zu stellen: “insofern, alles richtig gemacht!”
Welche Menschen sind besonders von der Pandemie betroffen?
Schnitzer unterstrich die besonderen und ganz unterschiedlichen Härten für verschiedene Teile unserer Gesellschaft: Einige dürften nicht arbeiten wie Künstlerinnen und Künstler oder Gaststätten, andere Berufsgruppen wie Pflegekräfte und Ärzte seien umso mehr belastet. Sie denke auch an die Kinder, die ihre Freundinnen und Freunde nicht treffen könnten. Auch Eltern von Home-Schooling-Kindern würden besonders herausgefordert. In ihrer Rolle als Lehrkraft an einer Hochschule vermisse sie den Kontakt mit Studierenden. Auch für Ältere und Pflegebedürftige sei es eine schwere Zeit, wenn kein oder wenig Besuch möglich sei. Nun gebe ihr jedoch der Fortschritt bei den Impfungen Hoffnung, dass diese Gruppen wieder mehr in die Gesellschaft integriert werden könnten.
Ein dauerhafter Schub für die Gesellschaft durch Digitalisierung? “Das sehe ich unbedingt und das ist auch dringend notwendig!”
Die Krise hätte Defizite der Digitalisierung schonungslos offengelegt, gerade in der öffentlichen Verwaltung bei der Umsetzung der Hilfsmaßnahmen. Ferne sei das Gesundheitssystem immer noch auf Faxgeräte angewiesen, um Daten von Infizierten weiter zu geben. Hier sei dringend eine digitale Modernisierung gefragt. Auch die Schulen und damit die Schülerinnen und Schüler hätten schmerzlich die Defizite in der digitalen Ausstattung und Lehre erleben müssen. Online-Unterricht sei alles andere als einfach gewesen. Auch die Unternehmen seien nicht alle gut aufgestellt – beim deutschen Mittelstand sei der Stand der Digitalisierung lange nicht so gut wie in anderen europäischen Ländern.
Die Chance in der Krise: Abbau von Vorurteilen
Schnitzer beendete den RotundeTalk mit einem positiven Ausblick. Sowohl die Unternehmen merkten, wie gut Home-Office dann doch funktioniere und Menschen “nicht einfach faul vor dem Netflix-Abo” hängen würden. Auch die Verwaltung schaffe nun sehr rasch digitale Prozesse – auch wenn dies noch dauere, sei der digitale Strukturwandel sehr deutlich zu erkennen. Der Online-Handel werde auch als Chance für stationäre Geschäfte gesehen, auch wenn sich einige Unternehmen umstellen müssten – Onlineangebote könnten eine gute Ergänzung sein.
Schnitzer sagte, sie freue sich auch über die Aufgeschlossenheit einer Wissenschaftlerin wie Bundeskanzlerin Angela Merkel. Viele Kolleginnen und Kollegen aus den Vereinigten Staaten von Amerika schrieben ihr, dass sie letztes Jahr mit Blick auf den Umgang ihrer Regierung mit der Corona-Pandemie auch lieber in Deutschland gewesen wären: “Was für ein Glück habt ihr mit Eurer Regierung” – So seltsam das in unseren Ohren derzeit vielleicht klingen mag.
Martin Waßink
→ Das vollständige Interview mit Prof. Dr. Monika Schnitzer können Sie auf dem YouTube-Kanal der Evangelischen Akademie Tutzing ansehen.
Bild: Prof. Dr. Monika Schnitzer im Rotunde Talk der Evangelischen Akademie Tutzing (Foto: ma/eat archiv)
In der Rotunde – dem Auditorium der Evangelischen Akademie Tutzing: Studienleiter Martin Wassink und Prof. Dr. Monika Schnitzer (Foto: ma/eat archiv)