Ausführlicher Bericht zur Sommertagung des Politischen Clubs
Stefan Raue: „Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens in veränderter/verschärfter medialer Konkurrenz“ (15.6.2018)
Stefan Raue, Journalist und Intendant des Deutschlandradio, sagt: „Das Gefährliche an der Medienkrise ist, dass man sie erspüren kann und sich mit ihr auseinandersetzen kann, aber man muss es nicht.“ Schaue man sich die Nutzungszahlen und Einschaltquoten an, gebe es keinen Beleg für eine Krise. „Die große Medienhasswelle ist abgeflaut“, so Raue. Selbst die so genannten „Zweifler“ und „Politikferne“ nutzten die öffentlich-rechtlichen Angebote.
Anlass zu einer allgemeinen Beruhigung bestehe dennoch nicht. Die Öffentlich-Rechtlichen müssten sich mit mehreren kritischen Positionen auseinandersetzen. Vorwurf: Sie seien zu groß, zu kostenintensiv, „Staatsrundfunk“.
Einen weiteren Grund für die latente Krise stelle auch die Auseinandersetzung mit der Tagespresse dar. Sinkende Werbeeinnahmen führten zu Konzentrationsprozessen. Mittlerweile stelle sich etwa das T-Online-Portal als kostenfreie Alternative zu dem Angebot der Printmedien dar. Er verweist auf die Einigung zwischen Verlegern und öffentlichen Rundfunkanstalten auf einen neuen Rundfunkstaatsvertrag. Auch dieser „Bruderkampf“ habe mit zu dieser Krise beigetragen, in der etablierte Medien als „zu fern“ empfunden würden und dem öffentlichen Rundfunk weniger Vertrauen entgegen gebracht werde.
„Der Gegenentwurf von klassischen Medien – subjektive Formate, wie Blogs und Vlogs stellen die alten Medien in Frage“, so Raue. Er konstatiert: „Die Medien haben ihren persönlichen und humanen Kern verloren.“ Die neuen Formate würden diese Qualitäten (direkt am Menschen/ungefiltert) nur simulieren. Journalistische Produkte, wie zum Beispiel Beiträge der „FAZ“ würden auf sozialen Plattformen präsentiert, was zu einer Entfremdung führt. Der Nutzer verbindet die Inhalte der Beiträge nicht mit den entsprechenden Medienhäusern sondern assoziiert den Beitrag nur noch mit der Social-Media-Plattform. Journalistische Arbeit sei zur „Ware“ verkommen. Medienarbeit sei aber Kommunikationsarbeit und nicht „Predigen von der Kanzel“. Raue fordert deswegen eine „Rehumanisierung der Medienarbeit“.
„Personalisierung der Angebote ist die einzige Möglichkeit für die Öffentlich-Rechtlichen, zu überleben.“ Raue erzählt von einem Gespräch mit einer Jugendlichen, die wörtlich sagte: „Wir wissen ja, dass Ihr tolle Sendungen macht, aber in Wirklichkeit sind wir faul.“ Die junge Generation erwarte eine „mundgerechte Präsentation“ für Inhalte, die für sie von Interesse ist. Junge Menschen hätten eine genaue Vorstellung davon, wie man Medien zu nutzen hat und auf diese Vorstellungen müsse man eingehen. „Wir als Programmmacher müssen dafür sorgen, dass unsere Programme auch bei den Menschen ankommen“. Zur Auffälligkeit gehöre eine starke Marke. Diese Marke muss mit einem ganz klar kommunizierten Markenversprechen verbunden sein. (Bsp.: Phoenix -Politik/Nachrichten).
Ein weiterer Punkt betreffe die Qualität. Worauf es jetzt ankomme, sei eine Unverwechselbarkeit des eigenen Angebots. Die Qualität des eigenen Angebots sei für die Öffentlich-Rechtlichen „die einzige Chance, zu überleben“.
Epilog: Raue erzählt von der Preisverleihung des Nachwuchsjournalistenpreises des Springer-Verlags. Der slowakische Journalist Ján Kuciak sei dabei posthum mit einem Sonderpreis für seine Arbeit ausgezeichnet worden. In ihrer Dankesrede forderte die Schwester des ermordeten Journalisten das Publikum auf: „Seien sie bitte nicht gleichgültig.“ Raue nimmt diese Äußerung zum Anlass, Journalisten in Erinnerung zu rufen, dass sie keine Textverarbeiter sind, sondern dass es ihre Aufgabe ist, das Wesentliche herauszuarbeiten.
Georg Mascolo: „Was ist seriöser Journalismus in hektischer und misstrauischer Zeit?“ (16.6.2018)
An die Adresse seiner journalistischen Kollegen richtete der Journalist Georg Mascolo den Appell, statt auf Hektik und Aufgeregtheit stärker auf Entschleunigung zu setzen. Der Journalismus sei keine Jagd, sondern müsse ein „Ort der Mäßigung und des zweiten Gedankens ein“, so der Leiter des Rechercheverbundes von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“. Beschleunigung sei in vielen Teilen der Gesellschaft ein Fortschritt, die „Beschleunigung des Urteils“ gehöre aber nicht dazu. Mascolo sagt: „Es wird zu viel geurteilt, bevor verstanden wird.“ Das sei der Grund für die Bedrohung der Glaubwürdigkeit von Journalisten. Eine zerstörte Glaubwürdigkeit verhindere wiederum den Diskurs und spiele Populisten wie Donald Trump in die Hände.
Mascolo führt Beispiele an, bei denen es Falschmeldungen selbst in etablierte Medien geschafft hätte, wie etwa der Coup der „Titanic“ am Vortag, der es zur Reuters-Agenturmeldung geschafft hätte. Er fragt: Was läuft schief, wenn selbst einfache Überprüfungen nicht mehr stattfinden? Es bleibe die Aufgabe eines jeden Journalisten, Fakten zu überprüfen bevor er sie verbreite. Dies gelte auch und besonders für das Privileg der Verdachtsberichterstattung. „Verdachtsberichterstattung ist größtes Privileg des Journalisten, es ist aber auch seine größte Verantwortung.“
Die Verdichtung und Beschleunigung in den Medien dürfe keinesfalls mit einem Verzicht auf journalistische Standards einhergehen. Er fordert darüber hinaus, dass die Trennung zwischen Nachrichten- und Einordnungsjournalismus wieder deutlicher werden sollte.
Aber auch Verleger und Chefs befänden sich in einer besonderen Pflicht. Redaktionen sollten den Querschnitt der Bevölkerung abbilden und so besetzt sein, dass sie die verschiedenen Erfahrungen der Menschen widerspiegele.
Eine weitere wichtige Voraussetzung für seriösen Journalismus sei Demut. Ein Journalist müsse lernen, „ich weiß es nicht“ sagen zu können, er müsse sich regelmäßig vom Schreibtisch wegbewegen und habe darüber hinaus auch eine Pflicht zur Fehlerkorrektur.
Mascolo verweist aber auch auf die Verantwortung des Einzelnen: „In einer Welt, in der jeder Fotos und Informationen online stellen kann, geht ein Stück der Verantwortung des Journalisten auf jeden einzelnen über.“