Die Zukunft der Integration. 5. Tutzinger Rede
Über eine Million Flüchtlinge sind im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen. Sie stammen hauptsächlich aus Afghanistan, Libyen, Syrien, dem Iran und Irak sowie aus Eritrea und Nigeria. Auf der Flucht vor Krieg, Tod, Hunger, Elend und Vertreibung hoffen sie hier auf ein besseres Leben. Damit steht Deutschland vor großen gesellschaftlichen Herausforderungen. Die Integration von Migranten ist die wohl dringlichste Aufgabe, die es zu bewältigen gilt. Integration – so viel ist sicher – kann jedoch ohne das Erlernen der deutschen Sprache und ohne den Erwerb von Bildung nicht funktionieren. Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge ist jünger als 25 Jahre. Es ist ein Alter, in dem man eine Ausbildung benötigt. Was ist zu tun?
Über die Herausforderungen, die sich für den deutschen Arbeitsmarkt ergeben, sprachen am Montag, den 18. April 2016, im Musiksaal der Evangelischen Akademie Tutzing Peter Driessen und Harald Neubauer. Diplom-Volkswirt Driessen ist Hauptgeschäftsführer der IHK für München und Oberbayern sowie Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages BIHK e.V.. Diplom-Verwaltungswirt Harald Neubauer ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit in München.
Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in der Isar-Metropole habe inzwischen die Millionengrenze überschritten, erklärte Harald Neubauer in seinem einleitenden Statement. München sei damit der zweitgrößte Beschäftigungsstandort Deutschlands. Da jedoch in den kommenden neun Jahren die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aufgrund des demografischen Wandels stark zurückginge, würden sich daraus für die Stadt einige Probleme ergeben. So seien gute Positionen in Industrie und Handel dann nur schwer mit deutschen Jugendlichen zu besetzen, erklärte Neubauer.
In München lebten derzeit 16.000 Flüchtlinge, fuhr Neubauer fort. Allerdings seien die noch lange nicht so weit, eine Ausbildung zu absolvieren und dann eine sinnvolle Beschäftigung aufzunehmen. Der Erwerb der deutschen Sprache sei vordringlichste Aufgabe für die Migranten. Die Agentur für Arbeit habe sich deshalb zum Ziel gesetzt, „die Menschen fit zu machen für eine Ausbildung“, so Neubauer. Allerdings, so fügte der Vorsitzende der Geschäftsführung der Münchner Arbeitsagentur an, würde ein Großteil der Asylsuchenden in die jeweiligen Heimatländer zurückgeführt. Das sei bitter für die Münchner Wirtschaft, die dringend Auszubildende suche.
Neubauer zeigte sich im Hinblick auf die Aktivitäten seiner Institution optimistisch, was die Integration von Flüchtlingen anbelangt. „Das Jobcenter München sucht Arbeitgeber für die Einstellung von Flüchtlingen. Beim Jobcenter gemeldete Flüchtlinge bringen zwei große Vorteile mit: Sie sind bereits in Deutschland als Asylanten anerkannt, verfügen damit über ein Bleiberecht und haben sofort uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt“, erklärte Neubauer. Rund 400 Jobcenter-Kunden mit anerkanntem Fluchthintergrund würden aktuell eine Stelle suchen; viele darunter bereits mit deutschen Sprachkenntnissen und gut nutzbaren beruflichen Qualifikationen. Und mehr als 180 Menschen würden sich freuen, hier eine Ausbildung zu beginnen. Den Gästen der Abendveranstaltung in der Tutzinger Rotunde gab Harald Neubauer mit auf den Weg: „Unternehmen, die Menschen aus unterschiedlichen Kulturen beschäftigen, haben weltweit die Nase vorn.“
Für den Hauptgeschäftsführer der IHK für München und Oberbayern, Peter Driessen, steht ebenfalls fest, dass Ausbildung und Arbeit der beste Weg zur Integration sind. „Eine berufliche Tätigkeit ermöglicht den Flüchtlingen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die Wirtschaft ist einer der wichtigsten und wirksamsten Integrationshebel“, folgerte Driessen. Auch er wies auf den demografischen Wandel hin und darauf, dass dem Arbeitsmarkt schon jetzt Fachkräfte und Azubis fehlen würden. „In Bayern konnten im letzten Ausbildungsjahr 11.000 Ausbildungsplätze nicht besetzt werden“, erörterte der IHK-Chef. Flüchtlinge könnten hier einen wichtigen Beitrag leisten. Driessen verwies in diesem Zusammenhang auf jüngstes Zahlenmaterial des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Danach haben von den befragten Flüchtlingen 13% eine Hochschule besucht, 17,5% ein Gymnasium, 30% eine Haupt- und Realschule, 24% eine Grundschule und 8% keine Schule.
Wie also lassen sich Wirtschaft und Flüchtlinge zusammenbringen? Wie kann man eine Win-Win-Situation herbeiführen? Peter Driessen verwies auf den Bayerischen Industrie- und Handelskammertag e.V. (BIHK), der für dieses Jahr acht Millionen Euro in die Hand genommen und ein ganzheitliches und nachhaltiges Maßnahmenpaket für die Integration von Flüchtlingen in Ausbildung und Arbeit entwickelt hat.
Und auch die IHK für München und Oberbayern habe viele Maßnahmen entwickelt, die bei der beruflichen Integration helfen sollen, erklärte Driessen weiter. Dazu gehörten beispielsweise das IHK-Sommercamp für Mittelschüler, Informationen zum Arbeits- und Aufenthaltsrecht, Beratungen zu Deutschkursen sowie die Gründung eines oberbayerischen Netzwerkes „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ als auch die Bildung eines Arbeitskreises „Frauen in der Wirtschaft“, der bei den oberbayerischen Unternehmerinnen um mindestens 500 Praktikumsplätze werben würde.
In der abschließenden Diskussion mit dem Publikum wurde deutlich, dass die Zuwanderung von Flüchtlingen für unser Land durchaus einen Gewinn darstellen kann, so wie wir es mit der Einwanderungswelle in den 60er Jahren mit den „Gastarbeitern“ schon einmal erlebt haben. IHK-Chef Driessen fasste es beispielhaft zusammen: „Was mit einem Zustrom vieler unbekannter Flüchtlinge begann, können wir über die berufliche Integration in neue Perspektiven verwandeln: Wir gewinnen neue Kollegen und Mitarbeiter, lernen dabei neue Kulturen, neue Ideen und Arbeitsweisen kennen, lernen voneinander, indem wir uns aufeinander zu bewegen. Wir sollten uns auf Augenhöhe begegnen.“
(Die Evangelische Akademie Tutzing und der Rotary Club Tutzing starteten 2011 mit der „Tutzinger Rede“ ein Gemeinschaftsprojekt, das in regelmäßig wiederkehrender Form Kernfragen zur „Zukunft Mensch“ behandelt.)
Die vollständige Rede von Diplom-Volkswirt Peter Driessen erhalten Sie -> hier.
Axel Schwanebeck
“Die Wirtschaft ist einer der wichtigsten und wirksamsten Integrationshebel“, erklärte IHK-Chef Peter Driessen.
(Foto: Schwanebeck)
Harald Neubauer, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit in München, warb für die Beschäftigung von Flüchtlingen: „Unternehmen, die Menschen aus unterschiedlichen Kulturen beschäftigen, haben weltweit die Nase vorn.“
(Foto: Schwanebeck)
Begrüßung im Auditorium: der Präsident el. des Rotary Clubs Tutzing, Harald Kuhn, Harald Neubauer und Peter Driessen (v.r.).
(Foto: Schwanebeck)