Die Akademie: ein Ort für Klarheit und Orientierung
Grußwort von Dr. Annekathrin Preidel, Präsidentin der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, im Jahresheft 2022/2023 des Freundeskreises der Evangelischen Akademie Tutzing.
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“Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat.” So beginnt der 121. Psalm – das Gespräch eines Menschen mit Gott. “Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.” Dies ist für mich zum Ritual geworden, wenn ich den oftmals verwirrenden Dschungel des Alltags verlasse und in der Evangelischen Akademie Tutzing ankomme, um Klarheit und Orientierung zu finden. Ich gehe an das Ufer, prüfe die Wassertemperatur und hebe meine Augen auf zu den Bergen. Ich nehme die Weite des Horizonts wahr. Ich schaue mit all meiner Ratlosigkeit und all meinen Fragen zu dem, der über allen Himmeln wohnt und nehme die Dimension wahr, die alles heilsam relativiert.
Es erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit, dass wir in unserer Landeskirche einen Ort haben, an dem ich diese Erfahrung immer wieder neu machen darf. In der Evangelischen Akademie Tutzing mit ihrer einzigartigen Lage am Ufer des Starnberger Sees und dem immer wieder beeindruckenden Weitblick finde ich Klarheit in dieser immer komplexer werdenden Welt. Ich finde Antworten für mich allein und ich finde Antworten in der Gemeinschaft der Gäste, Vortragenden und Tagungsteilnehmer:innen, die sich hier immer wieder versammeln. Auch in der Gemeinschaft der Kirchenleitung – so, wie wir es in diesem Sommer anlässlich der Zukunftskonferenz “PuK 2.0” über ein ganzes Wochenende erfahren durften.
Die Evangelische Akademie wäre ein einsamer Ort, würde sie nicht über den Freundeskreis vielfältige Kontakte pflegen, Türen und Fenster in Politik und Gesellschaft hinein weit öffnen und so – gerade auch vor dem Hintergrund einer immer stärkeren Säkularisierung Menschen für christliche Positionen interessieren und sie zum Diskurs mit evangelischem Profil einladen.
Der Freundeskreis legt über ganz Bayern ein Netzwerk, das öffentliche Räume für differenzierte Reflexion anbietet, offene Orte der Begegnung, an denen sich die Stimme des Protestantismus in den gesellschaftlichen Diskurs einbringt, Orte der Kreativität, an denen auch die Rolle der Kirche in der Gesellschaft von morgen neu gedacht und gestaltet werden kann. Über die lokalen Standorte des Freundeskreises bildet sich so die Pluralität ab, die offen und notwendig ist für den kritischen Dialog zwischen Theologie und Kirche auf der einen und Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft auf der anderen Seite. So werden Menschen immer wieder neu angesprochen – auch Menschen, die unserer Kirche nur lose verbunden sind oder die sich neu für diese interessieren. Diese Orte liefern einen wesentlichen Beitrag in der gesellschaftlichen Kommunikation und Reflexion. Über den Freundeskreis fördert die Evangelische Akademie Tutzing in der Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Problemstellungen ebenso wie im Vordenken künftiger Entwicklungen öffentliche Meinungsbildungsprozesse. Sie ermöglicht das Sichten von Fakten, die Abwägung von Positionen und das Ringen um gegenseitiges Verstehen.
Die durch die Coronapandemie in Staat, Gesellschaft und Kirche ausgelöste Krise hat als Katalysator für Veränderungen einmal mehr deutlich gemacht, dass wir diesen gesellschaftlichen Diskurs in den Denk- und Sprechräumen unterschiedlichster Gemeinschaft brauchen – in Rotunden und Dialogen, in Salongesprächen und offenen Diskussionsforen
Unsere evangelische Gesprächskultur ist eine emanzipatorisch denkende, reflektierende Kultur. Sie lebt nicht von schnell getwitterten Kurzmitteilungen und alternativer Fakten. Sie lebt nicht vom Posten inszenierter Trugbilder, die eine Wirklichkeit nur vortäuschen. Sie lebt von der geduldigen Auseinandersetzung mit Positionen und Einschätzungen. Sie braucht das Argument, nicht die Parole. Sie braucht die Kultur der differenzierten Urteilsbildung. Sie braucht die direkte Begegnung mit dem Sein und nicht mit dem Schein. Sie braucht ein Aufsehen zu den Bergen und immer wieder den Bezug zu Gott.
2017 prägte die Washington Post den Slogan “Democracy dies in darkness.” – Demokratie stirbt in der Dunkelheit. In der Dunkelheit lässt sich nicht mehr unterscheiden, was Fakten und was Meinungen sind. In der Dunkelheit verfinstern sich Wahrheit und Klarheit. Deswegen stehen wir auch als Institution Kirche in der Verantwortung, immer wieder Licht in das Dunkel zu bringen.
Drei Dinge werden für mich in dieser krisengebeutelten Zeit besonders deutlich:
- Gerade jetzt, da alte Sicherheiten ins Wanken geraten und sich Resignation, Erwartungsmüdigkeit sowie Erschöpfung breit machen, brauchen wir Orte der Orientierung wie sie die Evangelische Akademie Tutzing und ihr Freundeskreis bieten, dringender denn je. Wir brauchen Orte der inneren Bildungsarbeit.
- So wertvoll es war, während der akuten Phase der Coronapandemie Beziehungen digital aufrechterhalten zu können, so deutlich wurde auch, wie wertvoll Begegnungen in Präsenz sind. Die Qualitätssteigerung der Begegnung durch den Dialog im mehrdimensionalen, analogen Raum gegenüber dem eindimensionalen Austausch am Bildschirm ist ein großer Gewinn, um Fakten einordnen zu können, ergebnisoffen zu diskutieren, Meinungen zu bilden und um immer wieder neu Orientierung zu gewinnen.
- Die Wissenschafts- und Fortschrittsgläubigkeit ist an ihre Grenzen gestoßen und hat einer neuen Suche nach Sinnhorizonten Platz gemacht. Gerade jetzt sind Netzwerke an der Basis, wie sie der Freundeskreis bietet, besonders wichtig. Sie wirken einer Verflachung der Kommunikation entgegen und öffnen immer wieder neu Möglichkeiten, uns als Menschen zu begegnen, einander in die Augen zu sehen und uns mit unseren unterschiedlichen Perspektiven wertschätzend wahrzunehmen. Der Freundeskreis trägt so zu einer gesellschaftlichen Dialogkultur bei, die jede Demokratie braucht. Und das echt evangelisch!
Denn “echt evangelisch” heißt: Zuhören. Innehalten. Nachdenken. Zweifeln. Worte finden. Meinungen bilden. Protestieren, wo Wahrheit und Klarheit fehlen. Vielfalt zulassen. Resonanzräume öffnen. Und immer wieder den Blick zu den Bergen aufheben getragen von dem Vertrauen und von dem Glauben, dass Gott die Welt verändert und dass wir im Glauben Teil dieser Veränderung sind.
Dr. Annekathrin Preidel
Präsidentin der Landessynode
Bild: Das Grußwort im Jahresheft des Freundeskreises der Evangelischen Akademie Tutzing von Dr. Annekathrin Preidel. (Foto: dgr/eat archiv)
Wer mehr über die Bildungsarbeit der Evangelischen Akademie Tutzing und ihres Freundeskreises wissen möchte, kann das neue Jahresheft in der gedruckten Version auch kostenlos anfordern: Geschäftsstelle des Freundeskreises der Evangelischen Akademie Tutzing, Schloss-Straße 2+4, Tel.: 08158/251-130 oder via E-Mail an: freundeskreis@ev-akademie-tutzing.de.
(Foto: dgr / eat archiv)