Der Mitmensch als Chance zur Berührung
Shakespeare in Zeiten der Pandemie: Albert Ostermaier, Schriftsteller, Lyriker, Dramatiker, Theatermacher und Festspielleiter, näherte sich im RotundeTalk dem Thema Corona und Kunstschaffen mit einem eindrucksvollen Gedicht. Im Gespräch mit Jochen Wagner ging es um Nähe, Solidarität und Kontaktverbote.
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„…. Lear spritzt sich im /
zoo desinfektionsmittel in die vene und /
brüllt die löwen an bis ihm die stimme /
versagt in tränen während fallstaff im /
biergarten sitzt wo er den rand des krugs /
mit seiner lächelnden maske abwischt /
shakespeare selbst gibt seine pressekonferenz /
alle seien entlassen in die wirklichkeit /
die macht des todes ist nur halb so gross /
bläut er uns ein als ein volles haus.“
(Auszug aus dem Gedicht „Spielplan“ von Albert Ostermaier)
Wie ein Fußballer dribbelt Albert Ostermaier – nebenbei Torwart in der Fußballnationalmannschaft deutscher Autoren – mit seinem Poesie-Solo stürmisch in den 16er, den Strafraum, wo es weh tut: Nur wer das auch tödliche Corona verleugnet, beharrt auf der Versammlungsfreiheit. Wo Kontakt zwischen Menschen zur Gefahr wird, muss man leere Spielhäuser, Stadien, Rennstrecken, Museen und Kirchen etc. aushalten. Aber muss, kann, darf man ausgerechnet die Kultur, die Künste, die Ästhetiken einsparen, die den Menschen, das animal rationale, das vernunftbegabte Tier zivilisieren? – „Wahr gut schön“ hieß das Ideal einmal.
Der 1967 in München geborene, daselbst lebende freie Schriftsteller, Lyriker – unvergesslich sein erster Band Herz Vers Sagen (1995), Dramatiker, Theatermacher und Festspielleiter bzw. Festivalorganisator sprach Klartext. Mitten in Postfake, Metapherngestöber, Infektionskurven, Quarantäne gilt seine citation à l’ordre du jour dem lebendigen Kapital der analogen wie digitalen Welt: die Nähe zwischen Menschen. Immerhin: ein Feedback auf Corona ist das Comeback solidarischen Zusammenhaltens. Achtsam sein – nur eine inflationäre Spirituale? Ob fremd oder bekannt, der Mitmensch ist die Chance zur Berührung – zum Außer mir nicht mehr allein sein. Droht wirklich ein Reset zum Konsum? Oder ist es nicht mehr Glück, wenn sich zwei einsame Menschen schützen, grenzen, grüßen? Albert Ostermaiers Leidenschaft für Poetiken, wörtlich selber machen, eine Prophezei? „It’s not only me, it’s we?“
Dr. Jochen Wagner
Hinweis: Das vollständige Gespräch finden Sie auf dem Youtube-Kanal der Evangelischen Akademie Tutzing (hier ansehen).
Bild: Albert Ostermaier zu Gast in der Rotunde der Evangelischen Akademie Tutzing (Foto: ma/eat archiv)
Albert Ostermaier und Jochen Wagner im RotundeTalk
(Foto: ma/eat archiv)