Denken ins Offene – mit 950 Besuchern
Das Wetter am 3. Oktober war nicht gerade einladend. Und alles, was am Tag der offenen Tür anlässlich des 70-jährigen Bestehens der Evangelischen Akademie draußen geplant war, musste nach drinnen verlegt werden. Dennoch nahmen fast 950 Menschen die Gelegenheit wahr, um sich über die Arbeit der Akademie zu informieren, im Schlosspark spazieren zu gehen – am Nachmittag schien sogar die Sonne –, „Herbstliches Suppenzweierlei“ oder Kaffee und Kuchen zu genießen. Und miteinander ins Gespräch zu kommen. Oder Ingors Lila Salon zu lauschen. Das Salonorchester sollte ursprünglich auf der Schlossterrasse spielen, erfreute dann die Gäste im Musiksaal, die teilweise mitsangen und frenetisch applaudierten.
Auch der Gottesdienst musste von der Seeterrasse in den Musiksaal verlegt werden. Für die gut 160 Gäste wäre die Schlosskapelle ohnehin zu klein gewesen. Akademiedirektor Udo stellte seine Predigt unter einen Vers aus dem 1. Petrusbrief (3,15): „Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.“ Es sei wichtig, auch vom eigenen Glauben zu sprechen. Wie soll Orientierung entstehen, wenn Christinnen und Christen schweigen?, fragte Hahn. Die Gesellschaft sehnen sich nach Werten und nach Hoffnung, die über Markteffizienz und Wettbewerbsvorteile hinausreiche. Die Evangelische Akademie Tutzing sei ein Ort für Christen wie Nichtchristen, für alle Menschen guten Willens, um nach Lösungen zu suchen. Es gehe darum, die Gesellschaft zum Guten zu verändern. „Horizonterweiterer“ und „Weltverbesserer“ zu sein, das sei der Auftrag der Akademie. Musikalisch gestaltet wurde der Gottesdienst vom Posaunenchor St. Markus München – unter der Leitung von Anna Schlosser –, der ebenfalls mit viel Applaus bedacht wurde.
Im Foyer konnten sich die Gäste über die eindrucksvolle Geschichte des Hauses informieren. Hier wurde auf wenigen Schautafeln deutlich, dass dies ein besonderer Ort mit gesellschaftlicher Wirkung ist, wo schon alle Bundeskanzler und Bundespräsidenten zu Gast waren.
Am Nachmittag stand das Gespräch von Bayern 3-Moderator Thorsten Otto mit den Studienleiterinnen und Studienleitern auf dem Programm. Die Rotunde war bis auf den letzten Platz besetzt, als sich die Mitglieder des Kollegiums jeweils in Zweierpaaren den Fragen des Radiomoderators stellten.
Die hohe gesellschaftliche Wirkung zu erhalten, als anerkannte Diskussionsplattform für neue Anstöße zu gelten und einen Rahmen zum Austausch für alle Generationen zu bieten, müsse weiterhin das Ziel der Arbeit sein, brachte es Akademiedirektor Hahn auf den Punkt. Brigitte Grande M.A. hat als Vorsitzende des Gesamtfreundeskreises mit den mehr als 1.000 Mitgliedern in ganz Bayern die Aufgabe, die Akademiearbeit an die Fläche zu tragen. Ihr Ziel ist es, in Zukunft noch mehr die Aufmerksamkeit junger Leute zu gewinnen.
Dr. Jochen Wagner gilt im Kollegium als König der Zitate, was er während des Gesprächs mehrmals unter Beweis stellte. Als Studienleiter für Theologie und Gesellschaft, Religion, Philosophie und Recht bekam er von Thorsten Otto die Frage gestellt, ob es eigentlich auch etwas gibt, was er nicht weiß. Die bejahende Antwort wurde im Gespräch mit seiner jungen Kollegin Katharina Hirschbrunn, Studienleiterin für Wirtschaft und Arbeitswelt, Nachhaltige Entwicklung, deutlich: Die verschiedenen Ressorts der Kollegiumsmitglieder greifen ineinander und durch den unterschiedlichen wissenschaftlichen Hintergrund ergeben sich verschiedene Blickwinkel auf die Themen. Dies führt im Kollegium zu angeregten und anregenden Diskussionen, wie sie sich später in den Tagungen widerspiegeln.
Judith Stumptner, Studienleiterin für Kunst, Kultur, Bildung, Digitales, Social Media und seit August 2017 stellvertretende Akademiedirektorin, sprach vom guten Arbeitsklima in der Akademie. Wichtige Themen würden im Team besprochen und entschieden, es herrsche ein Gemeinschaftsgefühl. Pfarrer Frank Kittelberger, Studienleiter für Ethik in Medizin und Gesundheitswesen, Pastoralpsychologie und Spiritual Care, betonte, wie wichtig der gesellschaftliche Diskurs über Fortschritte in Medizin und Technik sei. Dieser dürfe nicht nur den Experten überlassen bleiben.
Julia Wunderlich, Studienleiterin für das Junge Forum, arbeitet intensiv mit Schülern und jungen Erwachsenen zusammen. Sie hat den Eindruck, dass junge Leute sehr wohl politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen interessiert sind. Allerdings müssten neue Formen der Beteiligung und entwickelt und neue Ausdrucksformen genutzt werden, weshalb vor kurzem auch ein Poetry Slam in der Akademie stattfand. Dr. Ulrike Haerendel, Studienleiterin für Soziales, Familie und Generationen, Geschlechter- und Gleichstellungsfragen, Geschichte, berichtete, dass die Akademie auch schwierige Themen aufgreife, etwa den sexuellen Missbrauch von Kindern.
Nach der lebhaften Diskussion hatten die Gäste noch die Gelegenheit zu Einzelgesprächen mit den Studienleiterinnen und Studienleitern und konnten sich über die Arbeit der Stiftung Schloss Tutzing informieren sowie des Freundeskreises. Wer im Park flanierte, wurde noch von der Sonne belohnt.
Angelina Schäfer