Impressionen vom Kirchentag in Nürnberg
Die Eindrücke und Erlebnisse vom Kirchentag in Nürnberg hallen in uns nach. Hier schildern Mitglieder des Studienleitungsteams der Evangelischen Akademie Tutzing Impulse, die sie mitgenommen haben.
Udo Hahn, Akademiedirektor:
“Endlich wieder ein Kirchentag in Präsenz! In Nürnberg. Und in Fürth. Schade, dass nicht auch Erlangen einbezogen wurde – mit seiner renommierten Theologischen Fakultät und profilierten evangelischen Einrichtungen: eine verpasste Chance, den Kirchentag noch stärker in der Metropolregion zu verankern.
Das Programm war vielfältig wie eh und je. Es war für jede und jeden etwas dabei. Das ist ein Vorzug und kein Makel. Christsein bedeutet, sich auch öffentlich zu seinem Glauben zu bekennen. Sagen, was einen prägt – und neugierig sein, was anderen wichtig ist, wenn es um Leben und zusammenleben geht.
Der Kirchentag ist immer beides: fromm und politisch. Fest des Glaubens und größte (!) zivilgesellschaftliche Veranstaltung in Deutschland, wie Kirchentagspräsident Thomas de Maizière zurecht betonte. Mit vielen Impulsen zum Weiterdenken.
Was nicht wenige überraschte, die vom Kirchentag bislang keine Vorstellung hatten: Zehntausende kommen zusammen, diskutieren niveauvoll. Dass man streiten kann, ohne Hass und Hetze, ohne Herabsetzung seines Gegenübers, dafür ist der Kirchentag ein Lernort, der gebraucht wird.”
Katharina Hirschbrunn, Studienleiterin:
“‘Der wahre Preis unseres Wirtschaftens – Nachhaltig und krisenfest in die Zukunft’. Unter diesem Titel habe ich am Samstag ein Podium in St. Sebald moderiert, der älteren der beiden großen Stadtkirchen. Bis auf den letzten Platz war die Kirche mit etwa 700 Menschen gefüllt. Zur Diskussion war auch die renommierte Transformationsforscherin Prof. Dr. Maja Göpel eingeladen. Worauf wir heute verzichten, werde oft unterschlagen, sagte sie. Damit meinte sie den Zugang zu grundlegenden Ressourcen für Milliarden von Menschen und eine ökologisch intakte Mitwelt. Wenn wir die sozial-ökologische Transformation nicht angehen, so Göpel, verzichten wir in der Zukunft noch auf viel mehr: auf grundlegende Freiheiten und Sicherheiten. Deshalb sei der wahre Preis unseres Wirtschaftens so wichtig zu verstehen und anzuzeigen – das BIP und viele Leitindikatoren seien hier blind. Um Wert und Werte zu erhalten seien ein besserer Kompass, Strukturkreativität und neue Institutionen notwendig. Aus dem Publikum erhielt Prof. Göpel viel Zustimmung und Applaus.
Die drei weiteren Podiumsteilnehmer zeigten auf, wie in jeweils unterschiedlichen Bereichen eine sozial-ökologische Transformation angegangen werden kann. Dr. Christof Günther, Geschäftsführer der Infraleuna GmbH verwies darauf, dass sich viele Unternehmen in den vergangenen Jahren um eine ökologischere Ausrichtung bemüht und vieles verbessert hätten. Hauptantrieb seien dabei allerdings nicht die Gesetze gewesen, sondern vielmehr die Erwartungen von Kundinnen und Mitarbeitenden. Auch um qualifizierte Arbeitskräfte zu finden sei die ökologische Profilierung von Unternehmen heute ein wichtiges Kriterium. Florian Weiß, Geschäftsführer von Kraftschluck berichtete, wie er und ein Freund von Null auf einen Bio-Smoothie “ohne Jetlag”, d.h. nur mit regionalen Früchten und Gemüse entwickelt haben – bei allen finanziellen Herausforderungen. Um innovative ökologische Start-ups zu ermöglichen und zu unterstützen sei die Politik gefragt. Tilman Henke, kaufmännischer Vorstand der Lafim-Diakonie, berichtete von dem Weg seiner Einrichtung hin zu einer Gemeinwohl-Ökonomie und benannte die politischen Rahmenbedingungen für eine sozial-ökologische Transformation laut dem Gemeinwohl-Ökonomie-Konzept.
Ergebnis der Podiumsdiskussion war auch der Wunsch, dass sich die Kirchen noch stärker ökologisch engagieren und sich politisch noch deutlicher für Klimaschutz, Ökologie und soziale Gerechtigkeit positionieren. Der Hinweis, dass Wirtschaftswachstum heute kein Ziel mehr sein kann und ökumenische Institutionen schon seit Jahrzehnten eine Ausrichtung auf Gerechtigkeit und Lebensqualität fordern anstatt einer immer weiteren Maximierung des Konsums, erhielt großen Applaus. Tilman Henke wies darauf hin, dass für die Reduktion von Umweltbelastungen zwar eine Reduktion des Konsums notwendig sei, allerdings nicht in den ärmeren Ländern: Hier lebten viele Menschen am Existenzminimum. Anders als bei vielen Menschen in den reicheren Ländern sei hier kein Verzicht möglich.“
Dr. Hendrik Meyer-Magister, Studienleiter und stellvertretender Akademiedirektor:
“‘Ihr seid ja ein alberner Haufen heute. Da will man über Trauma sprechen, und ihr lacht die ganze Zeit!’ Dieser Satz ist hängengeblieben: Samuel Koch spricht in seiner Dialogbibelarbeit mit Bischöfin Kirsten Fehrs am Freitagmorgen auf der Bühne des Zentrums Generationengerechtigkeit offen über schwere Zeiten und Ängste in seinem Leben. Es sei kein guter Beifahrer, sagt er und auch – nicht ohne augenzwinkerndes Timbre – dass er in den letzten Jahren viel Beifahrer gewesen sei. Gelöstes Lachen in der vollbesetzen Halle fünf.
Dem Schweren im Leben mit Leichtigkeit begegnen. Leid, Krankheit, Tod und Sterben als Teil des Lebens akzeptieren und es nicht überspielen und verschweigen. Aber dem Tod die Deutungsmacht über unser Leben nehmen. Schließlich ist das die Botschaft unseres Glaubens: Das Leben ist stärker als der Tod. „Tod wo ist dein Stachel?“ schreibt Paulus.
Das nehme ich als eine starke Botschaft aus den Veranstaltungen auf dem Kirchentag in Nürnberg mit, die ich besucht und teilweise selbst mitgestaltet habe. Das war auch der Geist unseres Podiums “Endlich leben. Über den Wert unserer Begrenztheit und das Leben im hier und jetzt.”, unter anderem mit der Theologin Christina Aus der Au und dem Gerontologen Reimer Gronemeyer. Beeindruckt hat mich insbesondere die lebensfrohe Botschaft von Shabnam Arzt, die ihre mit Trisomie18 geborene Tochter Jaël schon nach 13 Lebensjahren hat verabschieden müssen. Das Leben im Hier und Jetzt, den Wert jeden einzelnen Moments – das habe ihre Tochter ihr gelehrt, das sei der Schatz, den sie ihren Eltern auf Erden hinterlassen habe.
Helena Armbrecht, die ebenfalls auf unserem Podium saß und die Referentin der Diakonie Bayern für die stationäre Altenhilfe ist, hat am Stand der Diakonie auf dem Markt der Möglichkeiten einen Sarg aufgestellt: zum Probeliegen. Ich schlucke erst, dann lege ich mich doch hinein. Geräumig und ganz bequem eigentlich! Den Tod ins Leben einladen, das Sterben als Teil des Lebens begreifen, keine Berührungsängste haben: darum geht es. Und dann aus dem Sarg aufstehen und: leben! Hier und jetzt, in diesem Moment. Jetzt ist die Zeit!”
Alix Michell, Studienleiterin:
“‘Hass ist krass, aber Liebe ist krasser’. Dieser Satz einer Studentin im Anschluss an unser Podium auf dem Kirchentag geht mir erst einmal nicht mehr aus dem Kopf. Hass ist krass, aber Liebe ist krasser. Sie sagte es in Bezug auf eine Podiumsteilnehmerin, Sarah Vecera. Die auf unbedachte, gar verletzende Äußerungen warmherzig und offen reagierte. Die angesichts dessen erklärte und spüren ließ, dankbar für den Einblick in die Gedankenwelt anderer zu sein. Dankbar für jede Situation, in der Menschen sich öffneten, einander begegneten und voneinander lernten. Und im besten Fall lernten, füreinander einzustehen. Das sei Kirche.
Dieser Gedanke prägte unser Podium “Lost in Translation – (Wie) funktionieren unsere Bilder?” im Ganzen. Dort saßen neben Sarah Vecera, Koordinatorin Global Education mit Schwerpunkt Rassismus und Kirche, Vereinte Evangelische Mission, auch Dr. Marian Wild, Kunstwissenschaftler, Christian Stückl, Intendant des Münchner Volkstheaters und Theresa Brückner, Pfarrerin im digitalen Raum. Sie alle unterhielten sich über Bilder, die unseren Glauben prägen. Und alle waren sich einig: Kirche brauche auch neue Bilder. Bilder, die Teilhabe und Gleichberechtigung ermöglichen. Bilder, die Menschen abbilden und ansprechen, die gesellschaftlich marginalisiert werden. Kirche muss in dieser Hinsicht wieder Vorreiter und ein sicherer Raum für alle werden.”
Beate Hartmann, Projektleiterin:
“‘Jetzt ist die Zeit’ (Mk 1,15) – die Losung des Evangelischen Kirchentags 2023 begrüßte mich bereits auf großen Fahnen, die am Eingang des Messegeländes im Wind wehten. Ja, was ist gerade an der Zeit? Und: Für was braucht es denn gerade Zeit? – In unserer Gesellschaft, bei meiner beruflichen Tätigkeit oder auch in meinem privaten Leben?
Als Mitarbeiterin der Evangelischen Akademie Tutzing war es am Samstag, den 10. Juni, an der Zeit, mich nach Nürnberg aufzumachen, um am Stand der Arbeitsgemeinschaft Evangelische Erwachsenenbildung (AEEB) für die Besucher:innen als Ansprechpartnerin für die Akademie da zu sein. Was ich bis dato nicht wusste: Es war auch an der Zeit für ein Kennenlernen und einem wunderbaren Miteinander mit den Kolleg:innen der Evangelischen Erwachsenenbildung aus Ansbach, Weiden und München. Damit hatte ich nicht gerechnet. Wie schön, wenn Begegnungen einfach passieren, wenn man sich darauf einlässt und die Zeit auf sich zukommen lassen kann.”
Nachlesen, nachschauen und nachhören:
VIDEO
Podiumsdiskussion “Paradeisen statt Apokalypsen – Was braucht es, damit Menschen ihr Verhalten ändern?” (mit Live-Übertragung)
Samstag, 10. Juni 2023, 11 Uhr
Mit: Stefanie Bremer, Aktivistin für Steuergerechtigkeit taxmenow, Berlin, Prof. Dr. Maja Göpel, Transformationsforscherin, Lüneburg, Katrin Göring-Eckardt MdB, Bundestagsvizepräsidentin, Berlin Dr. Sarah Köhler, Referentin Ökum. Arbeitsstelle Anthropozän, Heidelberg, Winfried Kretschmann MdL, Ministerpräsident, Stuttgart, Carla Reemtsma, Umweltaktivistin Fridays for Future, Berlin
Dr. Martin Held, Freier Mitarbeiter und Mitglied der Transformateure, Tutzing
Hier die Aufzeichnung des Live-Streams abrufen
AUDIO
Bericht im Deutschlandfunk über das Podium “Endlich leben! – Über den Wert unserer Begrenztheit und das Leben im Hier und Jetzt” vom Donnerstag, 8. Juni 2023, 11 Uhr in der Sendung “Tag für Tag” vom 09. Juni 2023, 09.35 Uhr, mit Christiane Florin.
Hier abrufbar
(etwa ab Minute 16.40)
Bild: ‘”Hass ist krass, aber Liebe ist krasser”: Sarah Vecera, Koordinatorin Global Education mit Schwerpunkt Rassismus und Kirche, Vereinte Evangelische Mission im Gespräch mit Studierenden (Foto: DEKT/Johna)