„Das Schöne in den Blick nehmen“
Was hilft, wenn einem die Virus-Pandemie aufs Gemüt schlägt? Manch einer setzt auf Ablenkung, trinkt ein Glas Wein oder schaut sich Serien an. Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing, greift am liebsten zum Gesangbuch, wenn er Aufmunterung sucht. Dort bleibt er bei den Liedern seines Lieblingsdichters hängen: Paul Gerhardt.
„Corona, Corona, Corona – ich kann die Nachrichten nicht mehr hören. Das zieht mich dermaßen runter. Ich brauche etwas, das mich aufbaut.“ So oder so ähnlich geht es gerade vielen Menschen. Auch wenn sich die Lage in Deutschland entspannt – irgendwie schlägt das Virus doch aufs Gemüt. Da hilft dann auch nicht die übliche Ablenkung – kein Glas Wein und auch nicht die x-te Netflix-Serie.
Wenn ich kurzfristig eine Dosis Ermutigung brauche, greife ich meist zum Gesangbuch. Oft suche ich gleich gezielt nach meinem Lieblingsdichter: Paul Gerhardt. 139 Lieder hat er geschrieben, knapp dreißig finden sich im Evangelischen Gesangbuch, ein Dutzend auch im katholischen „Gotteslob“. Eine Kostprobe: „Die güldne Sonne voll Freud und Wonne bringt unsern Grenzen mit ihrem Glänzen ein herzerquickendes, liebliches Licht. Mein Haupt und Glieder, die lagen darnieder, aber nun steh ich, bin munter und fröhlich, schaue den Himmel mit meinem Gesicht.“ Worte, die die eigene Stimmung von einer Sekunde auf die andere verändern. Worte, die Bilder vor dem inneren Auge entstehen lassen, dass buchstäblich die Sonne nicht nur das Gesicht, sondern auch die Seele wärmt.
Sein bekanntestes Lied ist wohl dieses: „Geh aus, mein Herz, und suche Freud, in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Gaben; schau an der schönen Gärten Zier und siehe, wie sie mir und dir sich ausgeschmücket haben…“. Geschrieben hat es Paul Gerhardt für seine Frau Anna Maria. Die lag psychisch am Boden. Wieder war ein Kind gestorben. Nur eins von fünf überlebte die Eltern. Gerhardt meinte mit „mein Herz“ seine Frau. Doch auch ich fühle mich angesprochen. In fünfzehn Strophen lädt der Dichter zum Spaziergang ein, die Natur, zu entdecken – und zu erfahren, welch beruhigende Wirkung davon ausgeht, wenn ich nicht nur auf den Boden starre, sondern meinen Kopf hebe und das Schöne in den Blick nehme, das es auch gibt.
Nein, zu Paul Gerhardts Lebenszeit war die Welt nicht in Ordnung. 1607 wird er geboren, mit 14 Jahren ist er Vollwaise. Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) mit zahllosen Entbehrungen, mit Pest und anderen Seuchen, prägt seine Generation auch dann noch, wenn das Morden und Brandschatzen längst vorüber sind. Ich frage mich immer wieder, wie einer, dem das Leben so übel mitspielte, so fröhliche und zuversichtliche Lieder dichten konnte. Gerhardt beantwortet diese Frage in einer Strophe mit dem Hinweis auf seinen Glauben – und was dieser bewirkt: „Mein Herze geht in Sprüngen und kann nicht traurig sein, ist voller Freud und Singen, sieht lauter Sonnenschein. Die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesus Christ; das, was mich Singen machet, ist, was im Himmel ist.“
So kraftvoll glauben zu können, das wünsche ich mir selbst immer wieder – und auch Ihnen!
Udo Hahn
Pfarrer, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing
Hinweis: Der Beitrag ist im „Starnberger Merkur“ (Ausgabe 18./19. April 2020) in der Reihe „Gott und die Welt“ erschienen.
Bild: Stiefmütterchen im Schlosspark Tutzing (Foto: ma/eat archiv)