Christen in der Politik – Zwischen Kompromiss und Kompromittierung
Wenn man die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland unter dem Gesichtspunkt ihrer führenden politischen Persönlichkeiten betrachtet, erkennt man, dass vom ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss bis zum amtierenden Präsidenten Joachim Gauck das Amt des Bundespräsidenten christlich, ja sogar deutlich protestantisch geprägt ist. Ähnlich verhält es sich bei den Bundeskanzlern – beginnend bei dem römisch-katholischen „Gründungs“-Kanzler Konrad Adenauer, bis hin zur evangelischen Bundeskanzlerin, der Pastorentochter Angela Merkel.
Was veranlasst Christinnen und Christen, sich in allen Parteien zu engagieren? Was motiviert sie, sich in öffentliche Belange mit deutlicher Stimme einzubringen? Erinnert sei daran, dass es Christen waren, die vor einem Vierteljahrhundert eine führende Rolle bei der friedlichen Revolution in der DDR spielten. Sie hatten durch ihre Mitarbeit an den Runden Tischen, aber auch durch ihren Beitrag als Mitgründer und Mitgestalter in den politischen Parteien der ersten frei gewählten DDR-Volkskammer einen gewaltfreien und geordneten Übergang in die Berliner Republik erst möglich gemacht.
Die Kirchen bekennen sich klar zu der Verantwortung, die sie für das demokratische Gemeinwesen tragen. Religion ist keine Privatsache – Christen müssen sich einmischen, wenn es um Nächstenliebe, das Gemeinwohl, Gerechtigkeit und Frieden geht. Und damit haben Christen einen politischen Auftrag. Doch wo stößt das „C“ in der aktuellen politischen Lage an seine Grenzen? Welche Erfahrungen gibt es in der Praxis? Und welche Perspektiven lassen sich für die Zukunft abzeichnen?
Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Tagung „Christen in der Politik. Zwischen Kompromiss und Kompromittierung“ (9.-10.9.2016), die die Evangelische Akademie Tutzing zusammen mit der Katholischen Akademie in Bayern und erstmals mit der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung e.V. an diesem Wochenende durchführte.
In seinen einleitenden Worten zu der Tagung betonte Akademiedirektor Udo Hahn: „Es ist ein biblisches Anliegen, dass unsere Gesellschaft davon lebt, dass alle sich engagieren.“ Die Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung, Professorin Ursula Männle, nahm diesen Gedanken auf und verwies ebenfalls auf die ganz besondere Verantwortung der Christen in der Politik: „Sie müssen sich einmischen, einbringen und Verantwortung übernehmen.“ Allerdings, so fügte die CSU-Politikerin hinzu, ginge es dabei weniger um eine christliche Politik als vielmehr um eine Politik in christlicher Verantwortung. Dabei stünde das „C“ für eine christliche Wertorientierung.
Der frühere bayerische Kultusminister Professor Hans Maier verwies in seinem historischen Überblick auf das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, in dessen Präambel vermerkt ist: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen […] hat sich das Deutsche Volk […] dieses Grundgesetz gegeben.“ Das war der Grundton 1949. Man habe versucht, das Christliche in der Politik umzusetzen. Die CDU und die CSU seien in diesen frühen Jahren Novitäten am deutschen Parteienhimmel gewesen, erklärte Maier. Später sei dann die Europäische Union zum Markenzeichen der neuen Demokratie geworden und die deutsche Politik habe ihren Weg unumkehrbar nach Westen eingeschlagen. Die Haltung Deutschlands gegenüber den Flüchtlingen nannte Maier „die konsequente Fortsetzung der europäischen Politik der 1950er Jahre.“ Alle Anstöße zur Flüchtlingspolitik seien von Politikern ausgegangen, die christlich sind.
Wenn man allerdings auf die heutige Situation blicke, müsse man feststellen, dass die christlichen Parteien einen erheblichen Mitgliederschwund zu beklagen hätten. Dieser Prozess ginge schleichend voran und sei wohl unvermeidlich, beklagte der frühere bayerische Kultusminister. Offenbar können die Werte der Kirche wohl nicht weitervermittelt werden. „Man muss das Christliche neu vermitteln und mit neuem Inhalt füllen“, sagte Maier.
Der ehemalige bayerische Ministerpräsident, Dr. Günther Beckstein, nahm Bezug auf die Weimarer Republik und verwies darauf, dass Katholiken und Protestanten sich damals nicht wohlgesonnen waren. „Sie sprachen lieber mit den Nazis als miteinander“, erklärte Beckstein. In späteren Jahren sei die Frage der Mischehe sehr problematisch gewesen. In jener Zeit wollten die Christen in der Politik die Konfessionsgrenzen überwinden.
Heute sei für ihn die Frage relevant, wie er als Christ in der Politik das umsetzen könne, was ihm wichtig sei, etwa die Nachrüstung, die Kriegsbeteiligung, die Flüchtlingsfrage usw., erörterte Beckstein. Heute gebe es aber auch ständige Konsultationen zwischen dem bayerischen Ministerpräsidenten und den beiden christlichen Kirchen. Denn Politik sei in vielen Dingen auf den Rat der Kirchen angewiesen. Für Günther Beckstein ist maßgebend, dass das Christliche in der Politik lauten muss: „Der Mensch ist ein Ebenbild Gottes.“ Das bedeute für ihn, dass alle Menschen dieselbe Würde besäßen – „der alte demente Mann ebenso, wie der junge Bursche.“ Ähnlich wie Professor Maier beklagte auch Beckstein, dass im öffentlichen Bewusstsein der Menschen die Bedeutung der Kirchen zurückginge. „Wieviele Christen engagieren sich eigentlich noch in der Politik“, fragte er und wies zugleich darauf hin, dass die Humanität einer Gesellschaft davon abhinge, wie die christlichen Werte gelebt würden.
Im anschließenden Panel sollten junge Christen zu Wort kommen und nach ihrer Motivation befragt werden, was sie in der Politik verändern wollen. An der von Dr. Florian Schuller, Direktor der Katholischen Akademie in Bayern, moderierten Podiumsrunde beteiligten sich der Jurastudent Arno Logiewa, Stellv. Landesvorsitzende des RCDS, sowie Julian Zuber, Bündnis 90/Die Grünen, und Florian Schiffbauer, Studierendenrat Evangelische Theologie (SETh).
Er wolle Dinge verändern, deswegen sei er politisch im RCDS aktiv, erklärte Logiewa. Dabei gebe ihm eine christlich orientierte Politik Halt. Begriffe wie Verzeihen, Toleranz, Demut, Ehrlichkeit etc. spielten für ihn eine wichtige Rolle. „Suchet der Stadt Bestes“ sei seine Richtschnur für politisches Handeln, bekundete der Jurastudent. Kirche sei für ihn wichtig, wenn sie politische Prozesse begleitet und gelegentlich die Verantwortlichen zur Räson rufen würde. Seiner Generation gab er mit auf den Weg, dass sie sich stärker in die Politik einbringen müsse, „auch wenn diese oftmals sehr langweilig“ sei.
Julian Zuber treibt in der Kommunalpolitik an, über Parteigrenzen hinweg das Allgemeinwohl im Blick zu haben. Dabei geht es ihm darum, das Leben in einer Großgesellschaft zu organisieren. „Man muss den Mut haben, sich zu positionieren“, sagte der grüne Integrationsbeauftragte. Zum Thema „Christliche Werteordnung“ stellte Zuber fest, dass das Wort „Wertebildung“ für ihn viel schöner sei. Wichtig sei es doch, seinen Grundprinzipien treu zu bleiben, ohne gleich von einer Werteordnung zu sprechen. Für die Zukunft empfahl er seiner Generation, das Verantwortlichkeitsgefühl zu stärken.
Für den evangelischen Theologen Florian Schiffbauer bedeutet das christliche Menschenbild, andere Menschen zu achten. Die Kirchenmitgliederzahlen seien rückläufig, konstatierte Schiffbauer und folgerte, dass Kirche in der Zukunft mehr sprachfähig sein müsse, auf andere Menschen stärker zugehen solle und vor allem „die Sprache des Volkes sprechen“ müsse. Er engagiere sich hochschulpolitisch, da doch einige Dinge im Argen lägen und er Verbesserungen anstrebe, z.B. bei der Studienordnung. Den jungen Menschen seines Alters legte der Theologe nahe: „Es ist wichtig, im Gespräch zu sein, über Werte zu diskutieren und was sie bedeuten.“
Beim Panel „Christen in der Politik – Möglichkeiten und Grenzen“ am Samstagmorgen referierte zunächst der Berliner katholische Theologe und Ethiker Professor Andreas Lob-Hüdepohl über sein Verständnis der Arbeit im Deutschen Ethikrat, dem er seit kurzem angehört. Katholiken würden in dem Gremium besonders beäugt, führte er aus. Doch auch wenn der römische Katholizismus nach außen als monolithischer Block erscheine, sei die kirchlich gebundene Wissenschaft nicht der „verlängerte Arm des Lehramts“. Dass etwa moralische Fragen strittig sein könnten, sei ein Erbe der jahrhundertealten theologischen Ethik, so Lob-Hüdepohl. Er zitierte aus dem Dokument „Gaudium et Spes“ des Zweiten Vatikanischen Konzils: „In der Treue zum Gewissen sind die Christen mit den übrigen Menschen verbunden im Suchen nach der Wahrheit und zur wahrheitsgemäßen Lösung all der der vielen Probleme, die im Leben der einzelnen wie im gesellschaftlichen Zusammenleben entstehen.“ Die frohe Botschaft richte sich an alle Menschen, deshalb müsse alles, was sich daraus ergibt, auch für alle Menschen verständlich sein. Die postsäkulare Gesellschaft rechne durchaus damit, ergänzte der Wissenschaftler, dass die Religion etwas in den öffentlichen Diskurs einspeise. Auch die „religiös Unmusikalischen“ könnten diesen Beitrag verstehen und vielleicht auch wertschätzen, ohne zu allem Ja und Amen zu sagen. Die Christen wiederum sollten weder dem Zeitgeist folgen noch auf einen „Ersatzvornahme“ durch ein kirchliches Lehramt hoffen.
Der Heidelberger evangelische Theologe Professor Klaus Tanner erinnerte zu Beginn seiner Ausführungen an den Brief der Ordensleute an Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) Ende vergangenen Jahres wegen dessen Flüchtlingspolitik. Christen könnten auch in diesem Punkt unterschiedlicher Meinung sein. „Die Strittigkeit werden auch Christen nicht los. Sie sind nicht per se klüger.“ Zur Frage nach einer christlich geprägten Politik führte Tanner aus, von den Rahmenbedingungen und Grundüberzeugungen sei es ein weiter Weg zu einzelnen Entscheidungen. Er erinnerte daran, dass die frühen Christen erst einmal Distanz zur Welt gesucht hätten. Gerade diese von den Klöstern weitergetragene Weltdistanz sei hingegen in hohem Maße weltgestaltend geworden. Der Theologe zitierte Ernst Troeltsch: „Das Jenseits ist die Kraft des Diesseits.“ Zur Frage, ob Flüchtlinge auf „unsere Werte“ vereidigt werden müssten, sagte Tanner, dies sei schwierig zu beantworten. Im Grundgesetz tauche der Begriff „Werte“ nicht auf. Erst einmal solle man sich über Rechte und Pflichten verständigen. Der Forscher erinnerte an das berühmte Diktum von Max Weber, wonach Politik das Bohren dicker Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß sei, und fügte mit Blick auf die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aus: „In einer Demokratie, die auf Konsens ausgelegt ist, hat politisches Handeln manchmal Folgen, die so niemand gewollt hat.“ Zur christlichen Prägung von Politikern sagte er, diese seien Eklektiker und müssten das Machbare berücksichtigen. Sie nähmen die Kirchen als Akteure ernst, wehrten sich aber gegen direkten Einfluss. Es gebe eine verbreitete Zurückhaltung, „über das Christliche zu reden“.
Im folgenden Panel „Worin besteht der christliche Beitrag zur Politik heute?“ berichteten zwei bayerische Landtagsabgeordnete von ihren praktischen Erfahrungen. Die Fürther CSU-Parlamentarierin Petra L. Guttenberger sagte, das Christentum sei die „prägende Entscheidungsgrundlage für den modernen Verfassungsstaat“. Im politischen Alltag dürfe das christliche Menschenbild aber nicht reduziert werden, indem man alles gleich behandele: „Wir sollten nicht nur Politik für die Ränder der Gesellschaft machen, sondern die Mitte immer im Auge behalten.“ Das christliche Menschenbild sei nicht nur von Solidarität geprägt, sondern auch von Eigenverantwortung. „Wer es aus falsch verstandenen christlichen Werten allen Menschen recht machen will, wird scheitern“, unterstrich Guttenberger. Religiöse Freiheit ende dort, wo sie im Widerspruch zur Menchenrechtscharta, dem Grundgesetz und der bayerischen Verfassung steht.
Nach den Worten von Kathi Petersen, kirchenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, gibt es keine christliche Politik, „sondern immer nur den Versuch, verantwortliche Politik zu machen“. Sie ging auf eine Reihe von Einzelfragen wie den Sonntagsschutz oder die Flüchtlingsfrage ein. Dabei warnte sie davor, so zu tun, als sei Deutschland mit den Asylsuchenden überfordert. „Angesichts unseres Wohlstands kann es nicht ernsthaft ein Problem sein, Geflüchtete aufzunehmen.“ Das Engagement für Flüchtlinge müsse unterstützt und nicht unterbunden werden. „Ängste zu schüren, ist weder christlich noch human“, betonte die katholische Theologin aus Schweinfurt. Menschen, die nach Deutschland gelangen, dürften auch nicht nach Religion oder Konfession ausgesucht werden. „Statt uns vor Armutsflüchtlingen abzuschotten, müssen wir Fluchtursachen bekämpfen.“
In der abschließenden Diskussion, moderiert von Akademieleiter Udo Hahn, wurde eine breite Themenpalette angeschnitten, in deren Mittelpunkt erneut die Flüchtlingsfrage stand. Dabei wurde Petersen vorgehalten, sie behandele das Thema „mit allen Facetten der Gesinnungsethik“. Tanner brachte sein Unverständnis zum Ausdruck, wie Kanzlerin Merkel vor einem Jahr die Entscheidung zur Öffnung der Grenzen habe treffen können, ohne seither ein einziges Mal Rechenschaft darüber zu geben. Nicht jeder, der auf Probleme hinweise, sei ein Populist. Guttenberger fügte hinzu, Politik müsse dafür da sein, den Wohlstand in einem Land zu erhalten und zu mehren. „Nur ein starkes Land kann auch starke Hilfe leisten.“ Petersen warb für Differenzierung: Man solle die Sorgen der Menschen ernstnehmen, ihnen aber keine Angst machen. Niemand habe gesagt, dass die Integration der Flüchtlinge einfach werde. Die evangelische Nürnberger Regionalbischöfin Elisabeth Hann von Weyhern gab ihrer Verwunderung Ausdruck, „wie emotional das Thema auch hier diskutiert wird“. Nach ihren Worten wäre es ein Beitrag des Christlichen, auch in dieser Diskussion die richtige und angemessene Tonlage zu finden. Die Theologin erinnerte an die Maxime der Evangelischen Akademie Tutzing: „Toleranz und christliche Verantwortung“. An Hann von Weyhern gerichtet, sagte die CSU-Abgeordnete Guttenberger abschließend: „Toleranz heißt auch, dass wir beide evangelisch bleiben dürfen und uns nicht dafür rechtfertigen müssen, keinen Schleier zu tragen.“
Axel Schwanebeck
Den Beitrag von Petra L. Guttenberger, MdL, erhalten Sie -> hier.
„Man muss das Christliche neu vermitteln und mit neuem Inhalt füllen“, sagte der frühere bayerische Kultusminister Professor Hans Maier.
(Foto: Haist)
Die Fürther CSU-Parlamentarierin Petra L. Guttenberger sagte, das Christentum sei die „prägende Entscheidungsgrundlage für den modernen Verfassungsstaat“.
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Nach den Worten von Kathi Petersen, kirchenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, gibt es keine christliche Politik, „sondern immer nur den Versuch, verantwortliche Politik zu machen“.
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Der Heidelberger evangelische Theologe Professor Klaus Tanner erklärte zur christlichen Prägung von Politikern, diese seien Eklektiker und müssten das Machbare berücksichtigen. Sie nähmen die Kirchen als Akteure ernst, wehrten sich aber gegen direkten Einfluss. Es gebe eine verbreitete Zurückhaltung, „über das Christliche zu reden“.
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