Charlotte Knobloch wird 90 Jahre alt
Ideengeberin, Mahnerin – Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern hat mit ihrem Engagement einen wesentlichen Beitrag geleistet, dass jüdisches Leben hierzulande wieder sichtbar geworden ist. Akademiedirektor Udo Hahn würdigt sie in einem Porträt anlässlich ihres 90. Geburtstags als die vielleicht prägendste Persönlichkeit des Judentums in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.
Sie ist die vielleicht prägendste Persönlichkeit des Judentums in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie ist Ideengeberin und Mahnerin. Und sie kämpft seit Jahrzehnten gegen Antisemitismus und für ein Judentum in der Mitte der Gesellschaft: Dr. h.c. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Am 29. Oktober wird sie 90 Jahre alt.
Charlotte Knobloch wurde 1932 in München geboren – als Tochter des Rechtsanwalts Fritz Neuland. Sie überlebte den Holocaust in einem Versteck auf dem Land. 1945 kehrte sie nach München zurück. 1951 heiratete sie den Krakauer Juden und KZ-Überlebenden Samuel Knobloch, bekam zwei Töchter und einen Sohn. Seit 1985 ist sie Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Sie war unter anderm Vize-Präsidentin des World Jewish Congress und des European Jewish Congress sowie Vize-Präsidentin und Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland
Die Errichtung des neuen Jüdischen Zentrums mit Gemeindezentrum und Synagoge ist auf das Engste mit Charlotte Knobloch verbunden. Die neue Münchener Hauptsynagoge Ohel Jakob wurde am 9. November 2006 eröffnet. Das von der Stadt München gebaute und betriebene Jüdische Museum sowie das Gemeindezentrum folgten im März 2007.
Neben den höchsten staatlichen und universitären Auszeichnungen und Ehrungen wurde Charlotte Knobloch mit einer Vielzahl von Preisen bedacht. Am 9. November 2014 kam ein weiterer hinzu: der Tutzinger Löwe. Die Evangelische Akademie Tutzing würdigte mit dieser Auszeichnung Knoblochs Engagement für eine jüdische Gegenwart und Zukunft in Deutschland, ihren maßstabsetzenden Einsatz für Versöhnung, ihr unbeugsames Eintreten gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus sowie ihre Unterstützung des jüdisch-christlichen Dialogs. Die Preisverleihung fand im Rahmen einer Kanzelrede statt. Akademie und Freundeskreis laden zweimal im Jahr in der Erlöserkirche in München zu Kanzelreden ein – Charlotte Knobloch ist die einzige, die zwei dieser Reden hielt.
Darin plädierte sie für eine aktive Erinnerungskultur in der Gesellschaft und zitierte den Schriftsteller Siegfried Lenz mit den Worten “Vergangenheit hört nicht auf. Sie prüft uns in der Gegenwart”. Sie beschrieb die Wunden auf ihrer Seele im Gedenkjahr 2014 – einhundert Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs, 75 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, 76 Jahre nach der Reichspogromnacht und 25 Jahre nach dem Fall der Mauer. Der neue, alte Judenhass sei 2014 wieder da. “Wo ist die Mehrheitsgesellschaft, die uns jüdische Mitbürger schützt? Warum bleibt die überwältigende Mehrheit so unsichtbar?”, fragte sie und ergänzte: “Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, die von Zivilcourage redet, aber wenn es darauf ankommt, den Kopf in den Sand steckt.”
An die jüngere Generation gewandt betonte Knobloch: “Ich wünsche mir, dass wir eine wehrhafte Bürgergesellschaft bilden. Und ich rufe heute wiederholt die jungen Menschen dazu auf, für Freiheit, Frieden und Demokratie zu kämpfen.” Die Erkenntnisgeneration müsse den Stab der Geschichte an die Erlebnisgeneration weiterreichen. Und die Erkenntnisgeneration dürfe das “Nie wieder” nicht vergessen, so Knobloch. Was nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht wurde, “müssen wir schützen und verteidigen, damit das schlimmste Verbrechen des 20. Jahrhunderts sich nicht wiederholt. Nie wieder.”
Charlotte Knoblochs enormes Engagement und ihre Ausdauer haben dafür gesorgt, dass jüdisches Leben in Deutschland wieder sichtbar geworden ist. Dass sie die Mehrheitsgesellschaft, aber auch die Politik immer wieder ermahnen muss, das Aufstreben rechtsextremer Kräfte und ein Wiedererstarken des Antisemitismus ernstzunehmen und zu handeln, zeigt, wie groß die Sorge unter Jüdinnen und Juden in Deutschland nach wie vor ist – und wie nötig es ist, dass Politik, Justiz, Zivilgesellschaft entschieden Hass und Hetze bekämpfen.
Dass die Evangelische Akademie Tutzing eine judenfeindliche Darstellung – “Ecclesia und Synagoga” – in einem historischen Glasfenster in der Schlosskapelle nicht länger unkommentiert lässt, hat Charlotte Knobloch, zusammen mit dem Antisemitismusbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung, Dr. Ludwig Spaenle, gewürdigt. Es sei für sie “der erste Vorgang dieser Art”, sagte sie bei der Enthüllung der Tafel in der Tutzinger Schlosskapelle im April 2022. Sie hoffe sehr, dass weitere Kirchen dem Beispiel folgen und sich überlegen, wie sie mit antisemitischen Motiven in ihren Gebäuden umgehen. “Ideen und Symbole, die in der Vergangenheit Hass gesät haben, bestimmen Gott sei Dank nicht mehr unser Denken”, findet Charlotte Knobloch. Damit dies auch so bleibe, müsse man aber die Vergangenheit kennen. “Darstellungen von ‚Ecclesia und Synagoga‘ in unzähligen Kirchen haben über Jahrhunderte zu Hass auf Juden geführt; es ist deshalb richtig und nötig, sie heute rein museal und distanziert zu betrachten.” Genau dafür stehe auch die Erläuterungstafel in der Schlosskapelle, so Knobloch weiter. Für sie ist der zukunftsweisende Aspekt in der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit von zentraler Bedeutung: “Deutschland und Europa können sich ihre Geschichte nicht aussuchen, ihre Zukunft aber sehr wohl.”
Udo Hahn
Der Autor leitet die Evangelische Akademie Tutzing.
Bild: Toleranzpreis-Verleihung am 31.03.2022 in Oberammergau an Theaterintendant Christian Stückl. Zu Gast war auch Charlotte Knobloch, hier im Bild mit Akademiedirektor Udo Hahn. (Foto: Haist/ eat archiv)