Was soll aus Europa werden?
Die Flüchtlingsfrage
Die Flüchtlingswelle von 2015 hat die Europäische Union vor große Herausforderungen gestellt. Diese Herausforderungen halten bis heute an und spalten die Union. Elmar Brok kritisierte in Tutzing, dass die Flüchtlingsfrage im Jahr 2019 noch immer öffentlich auf der Basis der Zahlen von 2015 diskutiert werde. Das müsse sich dringend ändern. In der Zwischenzeit sei viel passiert, die Zahlen seien heute andere.
Außerdem plädierte Brok dafür, sich noch einmal die Gründe für die Ereignisse 2015 genau anzuschauen und zu rekapitulieren. Kurze Zeit bevor Erdogan 2015 die Grenzen für Flüchtlinge gen Norden öffnete, habe das UN-Flüchtlingshilfswerk etwa Gelder gekürzt.
Wichtig sei auch, so Brok, weltweite Verteilungsmechanismen genauer anzuschauen und daraus zu lernen. Europa etwa bündele 25 Prozent des Reichtums der Erde bündele. Und warum zum Beispiel, würden Hühner in Nordrhein-Westfalen gezüchtet und hinterher zum Verkauf nach Mali exportiert? Dass Menschen anfangen würden zu „laufen“, wenn sie in ihrer Heimat keine Zukunft hätten, könne er absolut nachvollziehen. Wichtig sei es daher, weltweit für mehr Gerechtigkeit einzutreten.
Es sei eine „Bedingung des Lebens“ innovativ und offen zu sein und zu bleiben, so Gesine Schwan in ihrer Rede. Für sie ist ein solidarischer Umgang mit Flüchtlingen prioritär. Ein „lückenloser Grenzschutz“, wie er etwa von Ungarn, Österreich oder auch Teilen der bayerischen CSU propagiert wurde, sei „töricht“ und ein „sich Verkrümmen um sich selbst“.
Steuerpolitik
Eine gemeinsame Steuerpolitik erscheint vielen Referenten als schwierig. Gesine Schwan sieht als größtes Problem die Bemessungsgrundlage. Das Problem habe sich bereits an der Digitalsteuer-Debatte gezeigt, die daran scheiterte, dass es nun mal einzelne Länder in der EU gebe, die davon lebten. Gleichwohl habe ein Staatenverbund wie die EU hier große Macht, Dinge zu verändern.
Elmar Brok ist dafür, einen digitalen Binnenmarkt herzustellen und parallel zum analogen Steuersystem ein digitales Steuersystem innerhalb der EU zu schaffen. Ihm sei es wichtig, dass Steuern dort erhoben würden, wo Wertschöpfung stattfinde.
Wirtschaftspolitik und -unionsfrage
Elmar Brok MdEP, CDU-Politiker, ehemaliger Präsident der Union der Europäischen Föderalisten (UEF) sowie Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten in Brüssel, hielt am 16. März im Politischen Club einen Vortrag mit dem Titel „Mir ist nicht bange um Europa“.
Zum einen plädierte Brok darin für mehr Selbstbewusstsein seitens der Europäer – vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht. Europa sei die größte Handelsmacht der Welt. Für ihn ist die Geschichte des europäischen Binnenmarkts eine Erfolgsgeschichte. Obwohl die Kritiker stetig den Abgrund und die Krise der europäischen Wirtschaft beschwörten, sei vor allem der EU-Binnenmarkt eine „grandiose Geschichte für Export“ sowie eine „Entbürokratisierungsveranstaltung“, die dazu geführt habe, dass der EU-Binnenmarkt besser integriert sei als der US-amerikanische. Die Wirtschaft wachse seit zehn Jahren. Brok gibt allerdings auch zu bedenken, dass der Exportwachstum für alle Seiten ein Gewinn sein sollte. Er verlange daher von der deutschen Bundesregierung eine Kosten-Nutzen-Analyse zur Europäischen Union. (Brok kritisierte den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder, der eine Öffnung der Märkte zulasten der sozialen Marktwirtschaft forciert habe.)
Europa solle damit beginnen, europäische Handelsbilanzen zu veröffentlichen – nicht nur jeweils nationale.
Währungspolitik und Euro-Krise
In seinem Vortrag „Die Europäische Union am Scheideweg – zur Zukunft der Europäischen Währungsunion“ gibt Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München), einen Einblick in die aktuellen Debatten zum Thema Währungsunion.
Er weist darauf hin, dass man nicht von Verlierern oder Gewinnern des Euro sprechen kann, weil es keine Vergleichsbeobachtungen gibt, wie es ohne den Euro gewesen wäre. Oft würden in den Debatten Beurteilungen mit ideologischen Absichten verbunden. Was man jedoch beobachten könne, sei wie sich die Euro-Länder seit Einführung des Euros entwickelt hätten. Dabei sei es wichtig, gleiche Maßstäbe anzulegen, wie etwa das Brutto-Inlands-Produkt (BIP) pro Land bzw. pro Kopf. Was man ebenfalls beobachten konnte, sei, dass sich Staaten, die nicht in der Währungsunion sind, sich besser von der Krise 2008 erholt hätten.
Was die Zukunft der Eurozone anbelange, gebe es grundsätzlich zwei Möglichkeiten, so Fuest: eine dezentrale oder eine zentral organisierte Fiskalunion. Fragen seien hierbei etwa: Wer haftet für die Finanzpolitik? Wer kontrolliert sie? Haftung und Kontrolle müssten zusammen sein.
Eine zentral organisierte Fiskalunion funktioniere für die EU nicht, so Fuest. Die Erfahrung habe gezeigt, dass ein Missachten von Fiskalregeln bislang Nachjustierungen über Budgetdefizite zur Folge hatten – somit kamen wieder neue Verstöße zustande. Aus den Regeln erfolgten keine Konsequenzen! Es gebe keine wirtschaftliche gemeinschaftliche Haftung, Vereinbarungen seien im Endeffekt nicht bindend.
Dennoch, so Fuest, ist es wichtig zu sehen, dass Vereinbarungen nützlich sind, weil sie einen Dialogprozess in Gang setzen.
Fuest plädiert für Reformen und verweist auf das Reformkonzept einer deutsch-französischen Ökonomengruppe, die ein Grundkonzept erstellt hat. Es basiert auf einer dezentral organisierten Fiskalunion mit solidarischen Elementen. Inhalte seien zum Beispiel: den Teufelskreis der finanziellen Abhängigkeiten zwischen Staaten und ihren Banken durchbrechen, mindestens acht Prozent der Bilanzsumme der Banken sollten an echtem Eigenkapital vorhanden sein, eine deutlich transparentere Bankenregulierung. Um den Bankensektor besser unter Kontrolle zu halten, sollten die nationalen Regulierer demnach in einer europäischen Behörde aufgehen, in der sie einer zentralen Aufsicht unterstellt sind und auch aus europäischen Mitteln bezahlt werden. In punkto Staatsschulden möchte Fuest die Defizitregel mit einer Ausgaberegel ergänzen („Accountability Bonds“, also Verantwortungsbonds).
Gesine Schwan bringt einen weiteren Punkt an. Durch den EU-Rettungsschirm für Griechenland sei in der deutschen Öffentlichkeit das Bild entstanden, die Deutschen würden die Rettung Griechenlands nun vor allem aus ihrer Tasche bezahlen. Fakt sei aber, so Gesine Schwan, dass Deutschland bislang keinen einzigen Cent für Griechenland bezahlt habe – sondern Zinsen ausgezahlt.
In der untenstehenden Bildergalerie haben wir verschiedene Momente der Tagung eingefangen.