„Bewegungsräume schaffen“
Die Künstlerin Ilana Lewitan möchte, dass Kunst nicht nur ein Medium ist, um das Lernen und Verstehen zu fördern – sondern auch das Fühlen. In ihrer aktuellen Kunstinstallation „Adam, wo bist du?“ wagt sie ein Gedankenexperiment und fragt: „Stellen Sie sich vor, Jesus hätte im Dritten Reich gelebt. Was wäre ihm geschehen?“
Sieben Jahre hat sie an dem Projekt gearbeitet. Und zur ursprünglich im März geplanten Eröffnung ihrer Kunstinstallation im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst in München war alles fertig. Doch die Corona-Pandemie machte auch die Pläne der Objektkünstlerin Ilana Lewitan zunichte. Zunächst – denn ab dem 17. Juni kann das Werk endlich bestaunt werden.
„Stellen Sie sich vor, Jesus hätte im Dritten Reich gelebt. Was wäre ihm geschehen?“ So lautet die Leitfrage der Kunstinstallation, die den Titel „Adam, wo bist du?“ trägt. Warum Jesus? Im „RotundeTalk“ der Evangelischen Akademie Tutzing erläutert Ilana Lewitan ihre Beweggründe. Als Jüdin sei sie in dem Bewusstsein aufgewachsen, Jesus gehöre zum Christentum – „bis ich verstand, dass Jesus Jude war“. Wenn er damals gelebt hätte, dann wäre wohl auch er im Konzentrationslager gelandet.
75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs will Ilana Lewitan nicht nur an Geschehenes erinnern, sondern „Bewegungsräume schaffen“ für die Besucherinnen und Besucher, die über die Kunst nicht nur lernen und verstehen, sondern auch fühlen sollen. Und indem sie den Bogen vom KZ-Überlebenden zu Geflüchteten bis hin zu Transgender-Menschen schlägt, entstehe hoffentlich ein Dialog.
Dass dieser notwendiger ist denn je, zeigt die Entwicklung in der Gesellschaft, seit die Künstlerin an ihrem Werk zu arbeiten begann. Lewitan spricht von einer „besorgniserregenden, erschreckenden, unfassbaren Entwicklung“, über die sie selber nur staunen könne. Als Künstlerin fühle sie sich aufgerufen, Menschen zum Denken aufzurufen, das so etwas nie wieder passieren dürfe. „Das Projekt ist von der Realität fast eingeholt.“
Ilana Lewitan ist in München geborgen – als Tochter polnischer Holocaust-Überlebender. Im „RotundeTalk“ berichtet sie, dass ihre Eltern immer dann polnisch gesprochen hätten, wenn sie nicht wollten, dass ihre Kinder sie verstehen. So habe sie in der eigenen Familie Ausgrenzung erlebt, dies aber respektiert und erst später erfahren, was die Beweggründe ihrer Eltern gewesen seien.
Eigentlich habe sie immer Malerin werden wollen. Es sei aber eine Vernunftentscheidung gewesen, zunächst Innenarchitektur und Architektur zu studieren und in New York zu arbeiten. Ihr Vater habe sie dazu ermutigt. Sein Motiv sei gewesen, auf eigenen Beinen stehen zu können. Die Architektur habe sie aber „nicht wirklich glücklich gemacht“. So habe sie das Studium der Malerei aufgenommen – u.a. bei Markus Lüpertz –, ermutigt von ihrem Mann, dem Psychologen und Buchautor Louis Lewitan.
Die mehrfach ausgezeichnete Künstlerin hat sich längst auch mit der Malerei einen Namen gemacht. Ihre Bilder tragen Titel wie „Spuren der Vergangenheit“, Das Geheimnis des Glücks liegt im Verborgenen“ oder „Versuche es, flüstert der Traum“. Und der Betrachter entdeckt darin viel Biographisches. Ihr vielleicht politischstes Bild steht unter der Überschrift „Spuren aus der Zukunft“. Es verknüpft die Geschichte des Nationalsozialismus mit der Zukunft. Es hat eine Vorder- und eine Rückseite – und in der Mitte lässt sich ein Quadrat umklappen. So besteht das eine Bild eigentlich aus vier Motiven. Es zeigt, wie die Zeiten miteinander verwoben sind. „Ich lebe in der Gegenwart, verwurzelt in der Vergangenheit – mit Hoffnung auf Zukunft“, spannt Ilana Lewitan ihren Gedankenborgen.
Erfahrungen weitergeben – so könnte man das Motiv der Künstlerin Ilana Lewitan beschreiben, das in all ihren Werken Thema ist. Und vielleicht wird man „Adam, wo bist du?“ einmal zu ihrem Hauptwerk erklären.
Udo Hahn
Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing
Das komplette Interview mit Ilana Lewitan können Sie in unserer Reihe „RotundeTalk“ auf dem YouTube-Kanal der Evangelischen Akademie Tutzing abrufen. Zur Weiterleitung klicken Sie hier.
Hinweis:
Die Kunstinstallation von Ilana Lewitan ist vom 17.06.2020–10.01.2021 im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst in München zu sehen. Weitere Informationen hier.
Bild: Ilana Lewitan zu Gast in der Evangelischen Akademie Tutzing (Foto: ma/eat archiv)