Auf der Suche nach der Gemeinschafts-Währung von morgen
Wolfgang Stark ist Professor für Organisations- und Gemeindepsychologie. Er ist fasziniert von der Solidarität und Kreativität, die die Menschen in der Corona-Pandemie gezeigt haben. Damit dieses Wissen nicht verlorengeht, hat er eine Ideen-Datenbank ins Leben gerufen.
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Schon immer habe es in der Weltgeschichte Pandemien gegeben, sagt Prof. Dr. Wolfgang Stark im RotundeTalk mit Studienleiter und Pfarrer Dr. Jochen Wagner. Die Corona-Pandemie sei allerdings „historisch einmalig“. Zwei Beobachtungen seien für ihn besonders auffällig gewesen: zum einen der Schock der Menschen und ihr Zurückziehen, zum anderen eine „erstaunliche Reaktionsfähigkeit in Bezug auf gegenseitige Hilfe“.
Aus seinem Heimatort Pähl nahe des Ammersees berichtet Wolfgang Stark: „Zwei Tage nach dem Lockdown gab es in Pähl schon eine Unterstützergruppe für die Gruppen, die besonders betroffen sind“. Die Unterstützergruppen hätten sich um Fragen gekümmert, wie sich etwa Essen für ältere Menschen oder Menschen aus Risikogruppen organisieren ließe. Der Bürgermeister der Gemeinde habe innerhalb von einem Tag 200 Leute angerufen, die über 70 Jahre alt sind, um zu fragen, was sie benötigen. Für Stark kleine Beispiele, die sehr gut zeigten, wie schnell, kreativ und solidarisch die Menschen reagiert haben.
Weltweit hätten sich die Menschen gegenseitig geholfen und sich neue Dinge ausgedacht. Stark beschäftigt sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit schon seit längerer Zeit mit Erfahrungswissen. Die Frage, die er sich dabei immer wieder stellt: Wie lassen sich Erkenntnisse aus Erfahrungen besser nutzen und weitergeben? Jenseits von Expertenratschlägen hätten die Menschen eine natürliche Intuition, ein natürliches Wissen, das ihnen sagt, was zu tun ist. Das funktioniere gut in Zusammenhängen wie etwa Ortschaften (Gemeinden), Vereinen oder Gruppen. Hier kenne man sich untereinander – und so gelinge auch schnelle solidarische Hilfe besser.
Das so genannte „implizite Wissen“, die Intuition, selber etwas zu entwickeln, bauen oder zu gestalten gebe es individueller und kollektiver Form. Beides sei in den letzten 10 bis 15 Jahren stark in den Hintergrund geraten und von einem „Pseudoexpertenwissen“, wie Stark es nennt, verdrängt worden. Stark ist jedoch davon überzeugt, dass die Menschen viel mehr Erfahrungswissen und Herzenswissen haben, als sie sich zutrauen.
Damit das Erfahrungswissen aus der Zeit der Corona-Pandemie nicht verlorengeht, hat er gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Italien, Portugal und den USA eine Ideen-Datenbank initiiert, in der die Menschen ihre Ideen, Hilfsaktionen und kreativen Einfälle eintragen können. Die „Neue Ideenbank für Gemeinschaft und Gemeinsinn“ (Zum Link) soll der Welt nach der Pandemie die Chance geben, eine Welt mit mehr Gemeinsinn zu werden.
„Es ist mehr als eine Datenbank“, beschreibt Stark das Projekt. Die Frage, die er gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen stellt, lautet: Was ist die neue Währung, die wir gerne in unserer Gesellschaft haben möchten? Indem man die kleinen Erfolgsmomente zusammenschalte und „neue Möglichkeiten des Denkens“ verteile, könne das Gemeinsame auf Dauer gestärkt werden.
Dorothea Grass
Das vollständige Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Stark ist auf dem YouTube-Kanal der Evangelischen Akademie Tutzing (#EATutzing) abrufbar.
Bild: Prof. Dr. Wolfgang Stark (Foto: ma/eat archiv)
Beide Gesprächspartner vor der Rotunde der Evangelischen Akademie Tutzing: Prof. Dr. Wolfgang Stark und Dr. Jochen Wagner (Foto: ma/eat archiv)