Eindrücke von einer „WahnSinns-Tagung“ von Axel Schwanebeck
„Konzentrieren Sie sich ganz auf Ihren Atem“, sagte Tom Schindler, buddhistischer Meditationslehrer aus München, zu den Teilnehmenden seines workshops, der sich mit verschiedenen meditativen Versenkungs-Übungen befasste. „Folgen Sie dem Luftstrom Ihres Atems durch die Lunge in den Bauch bis hinunter zu den Füßen“, erklärte er weiter. Die Achtsamkeitsmeditation, die Schindler anbietet, war Teil eines 6-teiligen workshop-Programms, das der Frage nachging, wie seelische Gesundheit und spirituelle Extreme zusammenpassen. Im Kern ging es um Wahn-Phänomene und den Umgang mit ihnen aus ärztlicher, therapeutischer und religiöser Sichtweise. Menschen, die an einer Psychose leiden, werden oft von Wahnvorstellungen und Halluzinationen geplagt. Die Realitätswahrnehmung schwindet – Wahn und Wirklichkeit lassen sich nicht mehr differenziert wahrnehmen. Mit der Achtsamkeitsmeditation lassen sich hier – flankierend zur ärztlichen Therapie – gute Behandlungserfolge erzielen. „Atmen Sie tief durch“, wiederholte Schindler.
Wann sind ungewöhnliche Bewusstseinszustände ein Fall für den Psychiater, wann ein Betätigungsfeld für den Schamanen? Zwischen Genie und Wahnsinn liegt bekanntlich ein schmaler Grat. Wo ist jedoch die Grenze zu ziehen? Medizin, Psychologie und Religion haben darüber schon manch hitzige Debatte geführt. Frank Kittelberger, Studienleiter für Medizinethik und Spiritual Care an der Evangelischen Akademie Tutzing, begab sich in seiner Tagung „WahnSinn. Ekstase, Besessenheit, Psychose – passen seelische Gesundheit und spirituelle Extreme zusammen?“ auf die Suche nach Deutungsmustern. Hochrangige Experten hatten sich zu dieser Veranstaltung am Starnberger See eingefunden, unter ihnen das Professoren-Ehepaar Jürgen und Ursula Link, beide Literaturwissenschaftler, oder die Mediziner Professor Peter Kaiser, Professor Josef Bäuml und Professor Heinz Schott. Und nicht zu vergessen der suspendierte Priester, Psychoanalytiker und Schriftsteller Dr. Eugen Drewermann, der mit einem Vortrag über „Wahn oder Weisheit? brillierte.
Neben verschiedenen Meditationsübungen ist für die psychische Heilung offenbar auch das holotrope Atmen erfolgversprechend. Dabei handelt es sich um eine von Stanislav Grof entwickelte Atemtechnik, durch die man nach Ansicht ihrer Anwender in Erfahrungsbereiche eintreten kann, die dem Bewusstsein im Allgemeinen nicht zugänglich sind. Dr. Sylvester Walch, Psychotherapeut und Autor mehrerer Bücher zu diesem Thema, ist Spezialist auf diesem Gebiet. Er ist der Meinung, dass im menschlichen Innenraum eine verborgene Intelligenz am Werke ist, die heilen kann. „Wenn wir dem Größeren in uns selbst auf die Spur kommen wollen“, sagte er, „müssen wir still sein und alles zulassen. Meditation ist ein guter Weg dazu.“ Der Psychotherapeut Walch geht davon aus, dass das Hineinhören in die Stille einen höheren Gedankenfluss erzeugt und wir beginnen „unseren Geist zu hören“.
Aus der Medizin ist hinlänglich bekannt, dass Hyperventilation zu höheren Bewusstseinszuständen führt und hemmende Faktoren lockert. „Raum und Zeit werden durchlässiger“, erklärte Walch, „unser Inneres öffnet sich und neue Erfahrungsräume entstehen“. Ziel dieser Behandlungsmethode ist es, seelische Konflikte zu lösen und tragfähige Strukturen aufzubauen. „Wenn sich die Erfahrung von ihrem innersten Grund her zeigen darf“, folgerte der Psychotherapeut, „dann kann sie unsere Seele beruhigen.“
Neben der Achtsamkeitsmeditation und dem holotropen Atmen hat sich in der Psychotherapie seit langem auch die Kunsttherapie etabliert. So ist zum Beispiel das kreative Malen eine gute Therapieform zum Ausarbeiten psychischer Probleme. Die Professorin Senta Connert, die an der Akademie der Bildenden Künste in München den Aufbaustudiengang Bildnerisches Gestalten und Therapie leitet, gab mit ihren Studierenden einen Einblick in ihre Arbeit. Die Studierenden sollen sich – aufbauend auf ihren künstlerischen Erfahrungen – ein neues, spannendes Berufsfeld in klinischen, rehabilitativen, präventiven und sozialen Arbeitsfeldern erschließen. Der Mensch und das Künstlerische in der Therapie stehen dabei im Mittelpunkt.
Um den Tagungsgästen diese Therapieform plastisch vor Augen zu führen, mussten sich im Musiksaal der Akademie jeweils Paare zusammensetzen und eine gemeinsame Zeichnung zu Papier bringen. Der eine Partner gab drei oder vier Striche vor, die von dem anderen Partner zu einem sinnvollen Bild ergänzt werden mussten. Keine leichte Aufgabe, die jedoch zu mancherlei humorvoller Äußerung führte und so manchem Gast das Wasser in die Augen trieb. Die „künstlerischen“ Ergebnisse, sie erschlossen sich nicht so ohne weiteres dem Betrachter, wurden anschließend auf einer großen Ausstellungsfläche dem Publikum präsentiert.
Deutlich wurde in der Tagung, dass psychische Störungen längst nicht immer nur ein Nachteil für den Betroffenen sind, sondern oftmals auch Quell für Kreativität und ungewöhnliche Leistungen. Etliche erfolgreiche Künstler, Erfinder oder Unternehmer sind leuchtende Beispiele dafür. Mozart etwa oder Goethe und Schiller, auch Kant oder Rembrandt. Soll heißen: Wohl dem, der eine Macke hat. Aber auch ohne Macke hilft in so mancher schwierigen Situation immer noch eines: „Atmen Sie tief durch“.
Foto: Studienleiter Frank Kittelberger (li.) und Dr. Eugen Drewermann (c) Schwanebeck
Religiosität und Spiritualität sind Urformen der menschlichen Psyche, erklärte Prof. Dr. med. Josef Bäuml, leitender Oberarzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum rechts der Isar, dem Publikum und bekräftigte: “Dort, wo der Glaube, die Hoffnung, verloren gegangen sind, wird der Mensch gequält”.
Foto: Schwanebeck
Menschen, die an einer Psychose leiden, werden oft von Wahnvorstellungen und Halluzinationen geplagt. Mit der Achtsamkeitsmeditation lassen sich hier – flankierend zur ärztlichen Therapie – gute Behandlungserfolge erzielen, erklärte Tom Schindler, buddhistischer Meditationslehrer aus München.
Foto: Schwanebeck
Jörg Widmoser, Violinist des Modern String Quartet aus München, kam eine schwere Aufgabe zu. Er musste Sätze aus dem Publikum, die im Verlauf der Tagung von den Teilnehmenden aufgeschrieben worden sind, in Töne umwandeln und so versuchen, eine Melodie zu gestalten.
Foto: Schwanebeck
In der Psychotherapie hat sich seit langem auch die Kunsttherapie etabliert, erörterte die Professorin Senta Connert, die an der Akademie der Bildenden Künste in München den Aufbaustudiengang Bildnerisches Gestalten und Therapie leitet. Arbeiten des Publikums konnten an verschiedenen Stellwänden betrachtet und diskutiert werden.
Foto: Schwanebeck
Der suspendierte Priester, Psychoanalytiker und Schriftsteller Eugen Drewermann gab dem Publikum zu verstehen: “Die Religion redet von Gott äußerlich. Notwendig wäre es jedoch, Gott und den Glauben zu verinnerlichen. Nur das, was von Innen kommt und Güte atmet, kommt von Gott.”
Foto: Schwanebeck