Altruistische Leihmutterschaften: Müssen wir Familienformen neu denken?
Heute hat die Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin der Bundesregierung ihre Ergebnisse vorgestellt. Unter anderem hatte sie den Auftrag zu prüfen, ob eine altruistische Leihmutterschaft in Deutschland legalisiert werden kann. Leihmutterschaft ist derzeit in Deutschland verboten. Eine altruistische Leihmutterschaft bedeutet: Die Leihmutter handelt nicht aus finanziellem Interesse. Studienleiter Hendrik Meyer-Magister fragt: Müssen wir Familienformen neu denken?
Prof. Dr. Friederike Wapler, Professorin für Rechtsphilosophie und Öffentliches Recht an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und Koordinatorin der AG 2 der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, äußerte sich in der Bundespressekonferenz abwägend: Es spräche nichts dagegen, das Verbot aufrechtzuerhalten, aber auch eine Legalisierung sei denkbar. Dafür werden allerdings enge Bedingungen genannt: Unter anderem müsse die ökonomische Ausbeutung der Leihmütter ausgeschlossen und die Aufrechterhaltung der besonderen Beziehung zwischen Leihmutter, Eltern und dem Kind gewährleistet sein. Darüber hinaus müsse der Aufwand der Leihmutter angemessen entschädigt werden, wobei es mit der Kompensation tatsächlicher, entstandener Kosten nicht getan sei.
Studienleiter Dr. Hendrik Meyer-Magister sieht damit die Debatte erst am Anfang: “Bleibt es beim Verbot, werden wir weiterhin erleben, dass deutsche Eltern, die es sich leisten können, vermittelt über Agenturen, Kinder von ausländischen Leihmüttern gebären lassen, für die die Dienstleistung das zentrale Handlungsmotiv ist. Die Agenturen berechnen dabei Beträge von mehreren zehntausend Euro, von denen ein Teil bei den Leihmüttern ankommt. So bliebe Leihmutterschaft ein lukratives Geschäft, denn die Nachfrage wird weiter bestehen. Nicht jede Leihmutterschaft ist dabei ausbeuterisch – aber dieses System ist zumindest offen für einseitige Abhängigkeitsverhältnisse und Ausbeutung von Frauen in anderen Ländern. Wir müssen uns fragen: Wollen wir, wie schon in anderen ethischen Debatten, das Problem dauerhaft dadurch lösen, dass wir es ins Ausland abschieben? Wäre eine Legalisierung in Deutschland nicht auch eine Möglichkeit, um eigene ethische Standards – zumindest für einen Teil der aktuell schon stattfindenden Leihmutterschaften – geltend zu machen?”
Würde die altruistische Leihmutterschaft in Deutschland legalisiert werden, gelte es mehrere Punkte zu bedenken, so Hendrik Meyer-Magister: “Wie lässt sich eine angemessene Aufwandsentschädigung beziffern für die Strapazen, Risiken und Einschränkungen einer Schwangerschaft, die Leihmütter für andere auf sich nehmen?” Im Raum stünden auch hier schnell fünfstellige Beträge. Prof. Dr. Peter Dabrock, Professor für Systematische Theologie (Ethik) am Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und vormaliger Vorsitzender des deutschen Ethikrates, hatte bereits in einem Artikel auf Spiegel Online im Dezember 2023 auf das Problem verwiesen: “Sind solche Geldsummen nicht doch ein verkapptes Honorar?”
Meyer-Magister fährt vor: “Ergibt sich nicht gerade auch durch die Forderung nach persönlichen Beziehungen untereinander ein Raum, in dem ebenfalls Ausbeutung stattfinden kann?” Er überlegt zudem, was diese neuen Familienkonstellationen bedeuten könnten – etwa, wenn neben den Eltern auch noch die Leihmutter sonntags bei Kaffee und Kuchen mit am Tisch sitzt oder wenn Kinder von verschiedenen Leihmüttern in einer Familie leben. Die Leihmütter wiederum könnten auch Kinder für weitere Eltern bekommen haben, mit denen sie ebenfalls Kontakt halten. Und spräche man dann von Leih-Geschwistern? “Ganz neue Familiennetzwerke könnten so entstehen, deren Beziehungskonstellationen gut bedacht sein wollen.”, so Hendrik Meyer-Magister.
Der Theologe, der als Studienleiter und stellvertretender Akademiedirektor an der Evangelischen Akademie Tutzing arbeitet, wird diesen Fragen in einer Tagung vom 6.-7. Mai 2024 nachgehen, die sich sowohl an die interessierte Öffentlichkeit als auch an Fachpublikum richtet. Auf der Tagung “Eine Mutter leihen? Familienformen neu denken” werden Expertinnen und Experten sprechen – u.a. Prof. Dr. Friederike Wapler und Prof. Dr. Peter Dabrock. Dabrock bearbeitet das Thema nicht zuletzt im Kammernetzwerk der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die EKD befasst sich derzeit mit einer ethischen Bewertung des Themas Leihmutterschaft.
Tagung “Eine Mutter leihen?” vom 6.-7. Mai 2024: Alle Informationen zu Programm, weiteren Referierenden und Anmeldemodalitäten finden Sie hier.
Weitere Informationen:
- Pressemitteilung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hier abrufen
- Vollständigen Abschlussbericht der Kommission hier abrufen