Akademiedirektor Udo Hahn hält Kommentar „Zum Sonntag“ auf Bayern-2-Radio
Mit Bildung gegen Rechts
Seit der Bundespräsidentschaftswahl in Österreich im Dezember 2016 ist in Europa ein ums andere Mal ein Aufatmen zu spüren, dass die für möglich gehaltenen Erfolge von Rechtspopulisten ausgeblieben sind. Das gilt auch für die Niederlande und für Frankreich. Und in Deutschland ist die AfD trotz ihres Einzugs in ein Landesparlament nach dem anderen inzwischen deutlich unter zehn Prozent gefallen. Ist die Trendwende gegen Rechts gelungen? Mal sehen, wie die Parlamentswahlen in Frankreich und die Wahl zum Deutschen Bundestag im September ausgehen.
Was kommen wird, ist jedoch keineswegs schicksalhaft. Vielmehr haben es die Bürgerinnen und Bürger selbst in der Hand, radikalen Kräften ihre Stimme zu verweigern. Allerdings drängen sich zwei Fragen auf. Die eine: Warum bekommen diese Kräfte immer wieder Auftrieb? Die andere: Was kann präventiv unternommen werden, dass es erst gar nicht so weit kommt?
Dass rechtsextremes Gedankengut für manche immer noch attraktiv ist, muss angesichts der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs verstören. Die Philosophin Hannah Arendt hat wohl Recht, wenn sie das scheinbar Unbegreifliche des 20. Jahrhunderts im Kern auf die alles erschütternde Erfahrung der „Verlassenheit des Menschen“, wie sie es nennt, zurückführt. Sie spricht von Erfahrungen der Hilflosigkeit in scheinbar undurchschaubaren Zusammenhängen, von Ohnmachtserfahrungen gegenüber einer zunehmenden Entscheidungskomplexität. Und auch von der Erfahrung, dass der Einzelne im großen Weltgefüge bedeutungslos erscheint. Dem gegenüber steht die Offerte der Rechtsextremen: klare Identifikationsangebote, plakative schwarz-weiß-Bilder von Gut und Böse.
Hannah Arendt macht sich nichts vor. Sie rechnet mit der bleibenden Verführbarkeit der Menschen. Schließlich werden auch heute Lügen präsentiert – Fake News beziehungsweise alternative Fakten. „Lügen“, so schrieb Arendt 1972 in ihrem Buch „Die Lüge in der Politik“, „erscheinen dem Verstand häufig viel einleuchtender und anziehender als die Wahrheit, weil der Lügner den großen Vorteil hat, im Voraus zu wissen, was das Publikum zu hören wünscht.“ Soweit das Zitat.
Da das Weltgeschehen keineswegs in Schwarz und Weiß aufgeteilt werden kann, sondern die Grautöne überwiegen, stellt sich erst recht die Frage, was präventiv getan werden kann und muss. Die Antwort lautet schlicht – mit Blick auf Hannah Arendt: Selber denken. Diese Kompetenz habe ihr 1933 die Augen geöffnet, wie sie einmal bekannte. Selber denken ist anstrengend. Sich selbst ein Urteil zu bilden und sich das Denken eben nicht abnehmen zu lassen, ist aufwändig. Ich muss mich informieren, darf nicht schon der ersten schnellen Antwort trauen. Der viel beschworene „mündige Bürger“ bleibt unmündig, solange er sein Handwerkszeug nicht beherrscht und zum Beispiel unterschiedliche Quellen nutzt.
Die Bildungsangebote bei uns – Schule, Studium, Akademien, Volkskochschulen – haben im Kern nur diese eine Aufgabe, Menschen zum Selberdenken zu bringen. Nicht alles hinzunehmen – so ist es. Sondern alles zu hinterfragen – ist es so? Die Bildungsanstrengungen des Staates, der Kirchen, der vielen zivilgesellschaftlichen Institutionen müssen diesen Anspruch haben, denn unsere Demokratie lebt von „mündigen Bürgern“.
Neben diesen Anstrengungen braucht es auch die klaren Aufrufe: Rassismus und Antisemitismus sind mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar. Hier sind die Kirchen unverzichtbare Mahner. Und eine Wahlempfehlung könnten sie in jedem Fall aussprechen: dass alle Menschen guten Willens von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen sollten. Tatsächlich kommt es auf jede Stimme an.
Die Kirchen sind noch in anderer Hinsicht unverzichtbar, denn sie haben eine Botschaft gegen das Gefühl der „Verlassenheit des Menschen“, von dem Hannah Arendt sprach. Ihre Botschaft des Evangeliums leugnet die Erfahrungen der Verlassenheit und Ohnmacht nicht. Sie weiß aber um die Kraft des Glaubens, die Umkehr, Vergebung, Versöhnung und Hoffnung möglich macht.
Der Kommentar „Zum Sonntag“ wird auf Bayern 2-Radio gesendet am Samstag, den 10.06.2017, von 17:55 bis 18:00 Uhr.
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Foto: Akademiedirektor Udo Hahn (c) Schwanebeck