Die Sommertagung des Politischen Clubs stand ganz im Zeichen des 70-jährigen Jubiläums des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Ein Wochenende lang widmeten sich Teilnehmer, Politikerinnen, Wissenschaftler und Journalistinnen unter anderem diesen Fragen: Was ist unsere Verfassung wert? Brauchen wir in Deutschland einen neuen Verfassungspatriotismus? Wie aktuell ist die Verfassung und bedarf es weiterer Änderungen? In welchem Verhältnis steht der Verfassungsinhalt zur Wirklichkeit?
Eindrücke in Bildern.
(Redaktion: Dorothea Grass, Texte: Julian Jäcker, Fotos: Haist/eat archiv)
Hinweis:
Zum Bericht zur Tagung gelangen Sie hier. Die ausführliche Dokumentation können Sie hier nachlesen. Eine multimediale Aufarbeitung der Tagung als Ausgabe der Tutzinger Thesen befindet sich in Vorbereitung.
Unter der Leitung von Bundestagspräsident a. D. Dr. Wolfgang Thierse kam es zu teils kontroversen Debatten, in denen immer wieder auch die große Wertschätzung für das Grundgesetz zum Ausdruck gebracht wurde.
Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, kritisierte im Eröffnungsvortrag mit dem Titel „Das Bundesverfassungsgericht als Garant der demokratischen Stabilität der Bundesrepublik“ unter anderem die „Kurzatmigkeit“ der Politik und forderte eine Aufnahme des Wahlsystems in das Grundgesetz.
Prof. Dr. Horst Dreier, Staatsrechtswissenschaftler an der Uni Würzburg, in der Diskussion mit dem Publikum (rechts im Bild: Dr. Wolfgang Thierse, Bundestagspräsident a. D. und Leiter des Politischen Clubs). Dreier hatte zuvor über „Das Grundgesetz im Spiegel seiner Veränderungen“ gesprochen und dabei sowohl einen Drang zur „Überfrachtung“ des Grundgesetzes als auch die Tendenz zu Gesetzesnamen in leichter Sprache wie dem „Gute-Kita-Gesetz“ kritisiert. Er sprach sich zudem deutlich dafür aus, dass Verfassungsänderungen nach bayerischem Vorbild auch im Bund nur noch durch Volksentscheide möglich sind.
„Das Grundgesetz und die Gleichberechtigung“ lautete der Titel des Vortrags von Prof. Dr. Ute Sacksofsky, Professorin für Öffentliches Recht an der Johann-Wolfang Goethe-Universität und Vizepräsidentin des Hessischen Staatsgerichtshofes. Sie unterschied dabei zwischen formaler Gleichberechtigung und materieller Gleichberechtigung. Die Tatsache, dass sie Quotenmodelle ausschließlich für Frauen als gesicherte Option betrachtete, sorgte für kontroverse Diskussionen mit dem Publikum.
Der Theologe und Ethiker Prof. Dr. Hans-Richard Reuter, Direktor des Instituts für Ethik und angrenzende Sozialwissenschaften der Universität Münster, untersuchte in seinem Vortrag das Verhältnis des Protestantismus zum Grundgesetz. Dieses, so Reuter, war in den jungen Jahren der Bundesrepublik von einiger Skepsis begleitet – habe sich über die Jahre jedoch enorm gewandelt.
Drei amtierende und ein ehemaliger Abgeordneter des deutschen Bundestags diskutierten über mögliche Änderungen des Grundgesetzes. Prof Dr. Günter Krings MdB(CDU), Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern; Dr. Wolfgang Thierse, Bundestagspräsident a. D. und Leiter des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie Tutzing; Dr. Manuela Rottmann MdB (Bündnis 90/Die Grünen); Stephan Thomae MdB (FDP), stellv. Fraktionsvorsitzender (v.l.n.r). Die Politiker waren gebeten worden, Änderungswünsche und -befürchtungen zu äußern. Im Gegensatz zu Prof. Dr. Horst Dreier sprach sich Prof. Dr. Krings für einen Erhalt der Verfassungsänderung auf parlamentarischem Wege aus. Dr. Manuela Rottmann plädierte unter anderem dafür, die Klimaschutzziele in das Grundgesetz mit aufzunehmen, während sich Stephan Thomae sowohl für ein widerstandsfähigeres Grundgesetz als auch für einen stärkeren Schutz des Eigentums aussprach. In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum kamen ferner nachhaltige Politik, Väterrechte sowie das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit zur Sprache.
Angeregt diskutierten Teilnehmerinnen und Referenten, wie hier der Autor Christian Bommarius (links im Bild) auch während der Pausen weiter. Bommarius hatte am Samstagabend aus seinem Buch „1949 – Das lange deutsche Jahr“ gelesen und mit dem Publikum diskutiert. Bommarius beschrieb die Einstellung der Deutschen zur Demokratie in der unmittelbaren Nachkriegszeit als überwiegend abweisend und belegte dies anhand von Thomas Manns Tagebuch sowie dem Bericht des jungen US-Journalisten Russel Jones, die beide mit einer baldigen „Renazifizierung“ rechneten. Im Publikum entwickelte sich darüber ein spannender historischer Diskurs.
„Demokratie braucht demokratische Sittlichkeit.“ Diese Meinung vertrat die Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Tine Stein von der Georg-August-Universität Göttingen, die den Sonntag mit ihrem Vortrag „Das Grundgesetz als Leitkultur?“ eröffnete. Der Umstand, dass der Begriff Leitkultur mitunter als politischer Kampfbegriff werde, dürfe, so Stein, nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Demokratie gewisse nicht verpflichtend einforderbare Werte wie z.B. Vertrauen, Kompromissfähigkeit und Wahrhaftigkeit zwingend benötige.
Eine Podiumsdiskussion mit Journalisten schloss die Tagung ab: (v.l.n.r.) Stephan Detjen, Chefkorrespondent des Deutschlandradios; Marlene Grunert, Redakteurin in der Politik-Redaktion der FAZ; Albert Funk, Korrespondent beim Tagesspiegel – moderiert von Dr. Wolfgang Thierse. Sie diskutierten teils kontrovers mit dem Publikum – unter anderem über Grunerts Vorschlag, das Grundgesetz in allen Schulformen zu unterrichten, das politische Engagement junger Menschen sowie über die Bedrohung der klassischen Medien durch neue Formate wie etwa YouTube.
In den Pausen der Tagung zog der Rosengarten der Akademie einige Aufmerksamkeit auf sich und lud zum Verweilen ein.
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