Dem Unsagbaren näherkommen – Der Dichter und Pfarrer Christian Lehnert im Porträt
Seine Lyrik sei von „bleibender Schönheit“, schreibt die TAZ. Und die Frankfurter Allgemeine rechnet ihn gar zu den besten deutschen Dichtern der Gegenwart. So unterschiedlich die beiden Zeitungen oft urteilen, im Blick auf Christian Lehnert sind sie sich einig. Der Schriftsteller und Pfarrer hat in den zurückliegenden fünfzehn Jahren in vielerlei Hinsicht aufhorchen lassen. 1995 erhält er den Förderpreis zum Leonce-und-Lena-Preis der Stadt Darmstadt – eine von inzwischen mehr als einem Dutzend Auszeichnungen. Der Suhrkamp-Verlag wird auf ihn aufmerksam. Fast alle seiner Gedichtbände und Essays sind dort erschienen, was einer Auszeichnung eigener Art gleichkommt, auch wenn manche Kritiker meinen, Religiöses habe bei Suhrkamp nichts zu suchen. Wie gut, dass Lehnert diese Bühne mit qualitätvollem Programm bespielt.
Fromme Sprüche oder Verse sind nicht seine Welt. Wer sich von der Lektüre seiner Werke Glaubensstärkung erwartet, wird auf den ersten Blick enttäuscht. Der Autor, 1969 in Dresden als Sohn eines Medizinerehepaares geboren, macht es sich selbst nicht leicht. Erst als Jugendlicher kommt er mit dem christlichen Glauben in Berührungen, entdeckt die kirchliche Jugendarbeit als einen Raum der Freiheit. Er verweigert den Wehrdienst und wird Bausoldat – die einzige in der DDR existierende Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung. Das hat Folgen: Lehnert wird das eigentlich angestrebte Medizinstudium verwehrt. Er studiert stattdessen Religionswissenschaften, Evangelische Theologie und Orientalistik. U.a. wirkte er als Pfarrer bei Dresden sowie als Studienleiter für Theologie und Kultur an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in Wittenberg. Seit Mai 2012 ist er wissenschaftlicher Geschäftsführer des Liturgiewissenschaftlichen Institutes der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) an der Universität Leipzig.
Was er sagt, bleibt sperrig, anrührend und unnahbar zugleich
„Der Kern unseres Glaubens ist etwas Unsagbares, Bildloses, Undarstellbares“, schildert er in einem Interview mit evangelisch.de 2013. Für viele Zeitgenossen hat eine solche Aussage etwas Trostloses. Suchen Menschen nicht ständig nach Worten, sich oder etwas zu erklären? Der Glaube entzieht sich dem Sagbaren. „Alle Worte und Formulierungen der Tradition umkreisen es nur wie einen Kraterrand. Die eigentliche Botschaft ist nicht sprachlicher Natur“, sagt Lehnert in dem Interview – und fügt zur Erläuterung hinzu: „Das ist wie bei Liebenden. Wenn der Partner einen fragt: ,Liebst du mich?‘, dann ist die richtige Antwort meist kein sprachlicher Ausdruck, sondern Zärtlichkeit, ein Blick… Und genau das gilt auch für den Glauben. Sein Wesen besteht nicht in der Kenntnis von Fakten. Wichtig ist die Beziehung – das, was jenseits von Sprache und Aussage geschieht. Daher kommt die Kraft!“ Deshalb könne er keine Aussagen über den Kern der christlichen Botschaft formulieren.
Sprachgewandt und wortreich tut er es dennoch. Wie in der Karwoche, als er eine Akademie-Tagung unter Aufnahme des Titels eines seiner Gedichtbände – „,Aufkommender Atem‘ – Leben trotz Widrigkeiten“ – mit Lesungen und Vorträgen bereicherte. Was er sagt, bleibt sperrig, anrührend und unnahbar zugleich. Sich an seine Fersen als Spurenleser zu heften, ist gewinnbringend. Seine „Korinthischen Brocken“, wie der Titel seines Essays über den Apostel Paulus lautet, zählt mit zu profundesten Interpretationen des 1. Korintherbriefs. Für Theologen eine Pflichtlektüre und besser als manch wissenschaftlicher Kommentar, der Unverständliches unverständlich bleiben lässt. Wer in Paulus bislang den selbstsicheren und vermeintlich unbeirrbaren Cheftheologen der jungen Christenheit sah, wird mit Christian Lehnert hingegen einen fragenden und ringenden Zeitgenossen entdecken, dessen sprachschöpferische Kraft Worte für das bislang Unsagbare des christlichen Glaubens finden lässt.
Wie der Glaube, so entzieht sich auch Lehnert immer wieder dem konkret Fassbaren. Es braucht die Stille als einen offenen Raum, in dem etwas entstehen kann. So kann ein Gedicht Stille und Raum erzeugen. „Das ist natürlich keine absolute Stille, sondern eine Stille im Angesicht der Möglichkeiten – die Stille der Schöpfungsfrühe“, fasst es der Dichter einmal mehr poetisch. So entstünden „Sprachbilder, die die Kraft haben, produktiv zu verstören, die hineinführen in den Abgrund der Gotteserfahrung“. Im Interview mit evangelisch.de schwächt er etwas ab: „Das Bild vom Abgrund ist vielleicht zu negativ, sprechen wir lieber von einem Sog, der mich hineinzieht in etwas.“
Udo Hahn
Bild: Christian Lehnert während der Karwochentagung im April 2019 in Tutzing. (Foto: dgr/eat archiv)
Zwei Dichter im Gespräch am Rande der Tagung in der Karwoche: Dr. Christian Lehnert und Dr. Oliver Kohler (rechts im Bild).
Foto: dgr/eat archiv