DIE NOMINIERTEN BÜCHER: KATEGORIE BELLETRISTIK
Lucy Fricke: Töchter (Rowohlt)
Zwei Frauen brechen auf zu einer Reise in die Schweiz, mit einem todkranken Vater auf der Rückbank. Eine letzte, finale Fahrt soll es werden, doch nichts endet, wie man es sich vorgestellt hat. Manche Geschichten fangen mit dem Tod erst an, und nicht jeder Tod darf als sicher gelten. Martha und Betty kennen sich, seit sie zwanzig sind. Sie entscheiden sich fürs Durchbrettern. Vor sich haben sie das Ziel, von hinten drängt das nahende Unglück. Mit einem Humor aus Notwehr und einer Wahrhaftigkeit, die weh tut, erzählt Lucy Fricke von Abschieden, die niemandem erspart bleiben, von Vätern, die zu früh verschwinden, und von einer Schuld, vor der man sich auch auf der abgelegensten Insel nicht verstecken kann. Eine Reise Richtung Süden, immer tiefer hinein in die Abgründe der eigenen Geschichte.
Thomas Klupp: Wie ich fälschte, log und Gutes tat (Berlin Verlag)
Weiden ist eine Vorzeigestadt: Die Wirtschaft brummt, von den Lady-Lions gibt es Charity-Barbecues für Flüchtlinge, das Gymnasium startet eine MINT-Initiative, die Tennisjugend gewinnt das Landesfinale, und seit Schuljahresbeginn prangen überall Antidrogenplakate der Champions mit dem Slogan: »Geh ans Limit! Ohne Speed!«. Benedikt Jäger und seine Freunde sind mittendrauf zu sehen und stecken mittendrin in dieser schönen Welt: Die Nächte feiern sie im »Butterhof«, wie sie ihre Schulnoten vor den erfolgsgierigen Eltern verbergen, steht in den Sternen, und dass die Lady-Lions ausgerechnet den Unterweltkönig Crystal-Mäx mit einer Finanzspritze unterstützen, macht die Lage noch unübersichtlicher.
Inger-Maria Mahlke: Archipel (Rowohlt)
Ein großer europäischer Familienroman von der Peripherie des Kontinents: der Insel des ewigen Frühlings, Teneriffa. Julio, el portero, war nicht immer der Pförtner. Doch heute, mit über neunzig Jahren, hütet er die Türen im Asilo, dem Altenheim von La Laguna. Von ihm und von denen, die seinen Weg kreuzten, von dem, was sie liebten, flohen oder gesucht haben, auf der Insel und im Leben, erzählt dieser Roman. Er führt in die Tiefen des vergangenen Jahrhunderts, ein Jahrhundert mit vielen Gesichtern. Und es zeigt sich noch heute viel Gestern darin.
DIE NOMINIERTEN BÜCHER: KATEGORIE SACHBUCH
Thomas Bauer: Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt (Reclam)
Was haben das Verschwinden von Apfelsorten, das Auftreten von Politikern in Talkshows, religiöser Fundamentalismus und der Kunst- und Musikmarkt gemeinsam? Überall wird Vielfalt reduziert, Unerwartetes und Unangepasstes zurückgedrängt. An die Stelle des eigentümlichen Inhalts rückt vermeintliche Authentizität: Nicht mehr das „was" zählt, sondern nur noch das „wie". Thomas Bauer zeigt die Konsequenzen auf, sollten wir diesen fatalen Weg des Verlustes von Vielfalt weiter beschreiten.
Wolfram Eilenberger: Zeit der Zauberer. Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919 – 1929 (Klett-Cotta)
Die Jahre 1919 bis 1929 markieren eine Epoche unvergleichlicher geistiger Kreativität, in der Gedanken zum ersten Mal gedacht wurden, ohne die das Leben und Denken in unserer Gegenwart nicht dasselbe wäre. Die großen Philosophen Ludwig Wittgenstein, Walter Benjamin, Ernst Cassirer und Martin Heidegger prägten diese Epoche und ließen die deutsche Sprache ein letztes Mal vor der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs zur Sprache des Geistes werden. Wolfram Eilenberger erweckt die Philosophie der Zwanzigerjahre und mit ihr ein ganzes Jahrzehnt zwischen Lebenslust und Wirtschaftskrise, Nachkrieg und aufkommendem Nationalsozialismus zum Leben.
Svenja Goltermann: Opfer. Die Wahrnehmung von Krieg und Gewalt in der Moderne (S. Fischer)
Die Historikerin Svenja Goltermann erzählt, wie das Bild des Opfers, das wir heute kennen, sich erst seit dem 18. Jahrhundert herausgebildet hat: Mit den modernen Gesellschaften entstand das Bedürfnis, die Verluste zu zählen und die Toten zu identifizieren. Zugleich sollte der Krieg humanisiert, Kriegsversehrte sollten versorgt, Überlebende und Hinterbliebene entschädigt werden. So wurde der Begriff des Opfers nach und nach ausgeweitet, von Soldaten auf die zivile Bevölkerung, von körperlichen Verletzungen bis zur Anerkennung des Traumas als seelische Wunde. Wer jedoch als Opfer überhaupt benannt und anerkannt wird, war und ist eine Frage von Hierarchien und Macht – und damit ein eminent politisches Problem.