Knobloch sieht freiheitliche Demokratie in Deutschland vor „Bewährungsprobe“
Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde von München und Oberbayern sieht vor allem den öffentlichen Diskurs der AfD als Beleg für neue Herausforderungen der Zivilgesellschaft. Das Interesse der jungen Generation an der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit gebe dagegen Anlass zur Zuversicht.
Bei der Tagung zum Widerstandskreis der „Weißen Rose“ an der Evangelischen Akademie Tutzing sagte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, am Sonntag, mit der AfD stelle sich eine “offen rechtsextreme Partei” zur Wahl. In der politischen Diskussion werde man mit Aussagen überrascht, die noch vor einiger Zeit überhaupt nicht denkbar gewesen seien. Die junge Generation sei jedoch zunehmend aufgeschlossen für Erinnerungskultur und Beschäftigung mit der NS-Zeit, so Knobloch. Während sie noch vor einigen Jahren bei Zeitzeugengesprächen auf desinteressierte oder sogar aggressive Schüler gestoßen sei, erlebe sie diese heute aufgeschlossen für die Thematik und durch den Unterricht gut vorbereitet. Deshalb seien verordnete “Pflichtbesuche” in KZ-Gedenkstätten ein “Fehler”.
Hauptthema der Tagung war der Widerstandskreis „Weiße Rose“, dessen führende Mitglieder vor 75 Jahren von der NS-Justiz ermordet wurden. Ihre Botschaften, zum Teil auch tatsächlich ihre Flugblätter, wurden aber in den beiden letzten Kriegsjahren noch weit im In- und Ausland verbreitet, gerade dazu brachte die Tagung auch wenig Bekanntes ans Licht.
Bei der abschließenden Podiumsdiskussion plädierte der Zeitzeuge Walter Joelsen für eine Annäherung an die NS-Zeit und ihre Verbrechen durch persönliche Zeugnisse. Bei Einladungen zu Gesprächen in Schulen erzähle er deshalb die “Geschichte mit Geschichten”, sagte der evangelische Theologe, der als “Halbjude” von den Nazis verfolgt worden war. Eine solche hatte Podiumsreferent Robert Seidenader anzubieten, der von seiner Zwangsrekrutierung als 15-Jähriger für das letzte militärische Aufgebot der Nationalsozialisten berichtete.
Julia Davis, Carolina Oswald und Jan Wilhelm, Studierende der Geschichte an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und ebenfalls auf dem Podium, bestätigten den Wert von Zeitzeugengesprächen oder auch einer solchen Tagung. In dieser Form sei Erinnerungskultur „viel mehr als nur geschichtliches Wissen zu vermehren“, sagte Oswald. Sie gebe auch Antworten auf die Herausforderungen durch Extremismus und Rassismus. Weil aber solch intensive Beschäftigung doch nur einem kleinen Kreis vorbehalten sei, wünschten sich die Studenten mehr Erinnerungszeichen und Hinweise auf die Vergangenheit im öffentlichen Raum.
epd/EAT
Bildunterschrift:
„Was bleibt?“: Podiumsdiskussion mit Walter Joelsen (mit Begleitung), Julia Davis, Dr.h.c. Charlotte Knobloch, Caroline Oswald, Jan P. Wilhelm und Robert Seidenader. Moderation: Dr. Ulrike Haerendel. (im Bild v.l.n.r.)