Akademiedirektor Udo Hahn hält Kommentar „Zum Sonntag“ auf Bayern-2-Radio
Nationalismus und Christentum. Warum die Kirchen umdenken müssen
Immer wieder wird sie beschworen: die Frieden und Versöhnung stiftende Kraft des christlichen Glaubens, die die Grenzen von Ländern und Nationen überwindet. Ergänzt um den Hinweis, dass Ökumene wörtlich übersetzt die ganze bewohnte Erde bedeutet. Ja, diese weltumspannende Kraft gibt es. Zugleich ist aber deutlich spürbar, wie auch heute noch Nationalismus und Religion eine unheilige Allianz eingehen und sich das schleichende Gift eines religiösen Nationalismus sogar ausbreitet. Dieses Phänomen ist in allen Religionen anzutreffen – auch im Christentum.
Aktuell spürbar ist das, wenn man das Konzil der orthodoxen Kirchen näher betrachtet, das gegenwärtig auf Kreta tagt. Ein Ereignis, das tatsächlich das Etikett „historisch“ verdient. Über eintausend Jahre hat es eine solche Zusammenkunft nicht mehr gegeben. Und mehr als fünfzig Jahre ist – mit Unterbrechungen – an Vorbereitungszeit investiert worden. Die russisch-orthodoxe Kirche ist nun im letzten Augenblick abgesprungen. Sie boykottiert das Treffen und entwertet damit alle Bemühungen, die innerorthodoxe Ökumene voran zu bringen. Weltweit gibt es mehr als 300 Millionen orthodoxe Gläubige. In Deutschland bilden sie die drittstärkste Konfession.
Die Absage der russischen Delegation – und weiterer drei Kirchen – hat theologische, aber auch politische Gründe. Und teilweise gehen diese ineinander über. Zunächst ein Blick auf die theologischen Ursachen: Sie liegen im 5. Jahrhundert, als die altorientalischen orthodoxen Kirchen wegen Meinungsverschiedenheiten ihren eigenen Weg gingen. 1054 folgte dann die Spaltung zwischen der östlich-orthodoxen und der westlich-römischen Kirche. Jede der Kirchen ist selbständig, doch haben sie im Patriarchen von Konstantinopel ein Ehrenoberhaupt, das seit 587 „ökumenisch“ genannt wird. Allerdings hat Bartholomaios I. im russischen Patriarchen einen mächtigen nationalen Kirchenführer als Gegenüber, der seine eigenen Ambitionen offen zeigt. Gilt doch aus seiner Perspektive Moskau als das dritte Rom und Russland als Nachfolger des Byzantinischen Reiches. Damit sind wir schon bei den politischen Motiven: Ursprünglich war das Konzil in Istanbul geplant. Nachdem aber die Türkei einen russischen Militärjet an der Grenze zu Syrien abgeschossen hatte, wollte der russische Patriarch Kyrill I. nicht nach Istanbul reisen. Dass ihm auch Kreta nicht genehm ist, ließ er erst wenige Tage vor Beginn des Konzils verlauten.
Dabei hatte eben jener Kyrill erst vor wenigen Monaten für eine ökumenische Sensation gesorgt, die ebenfalls als „historisch“ kommentiert worden war. Anfang Februar traf er sich nämlich mit Papst Franziskus auf Kuba. Die Konflikte zwischen Moskau und Rom sind ebenfalls gleichermaßen theologischer wie politischer Natur. Seit mehr als fünfzig Jahren müht sich die römisch-katholische Kirche um eine Versöhnung mit den orthodoxen Kirchen. 1965 war es nach einer Begegnung zwischen dem damaligen Ökumenischen Patriarchen Athenagoras und Papst Johannes XXIII. zur Aufhebung der 1054 ausgesprochenen gegenseitigen Exkommunikation gekommen. Der offizielle Dialog der beiden Kirchen – „Dialog der Liebe“ genannt – setzte 1980 ein. Mit der Begegnung zwischen Papst Franziskus und Kyrill I. verbinden sich große Hoffnungen. Schaut man auf das orthodoxe Konzil in Kreta, so mag man aufs Ganze gesehen nicht recht optimistisch in die Zukunft schauen.
Das mächtige Moskauer Patriarchat hat es verpasst, für eine erneute historische Sensation zu sorgen. Es hätte mit seiner Teilnahme den Einheitsbemühungen der Orthodoxie einen großen Schub verliehen. Und auch ein politisches Signal gesetzt: dass sie sich nicht instrumentalisieren lassen. Kyrill hätte mit seiner Anwesenheit den Ökumenischen Patriarchen gegenüber der Türkei übrigens unterstützen können. Dieser darf sich in dem Land nicht frei bewegen, weil der türkische Staat dem Patriarchat die rechtliche Anerkennung verweigert.
Die orthodoxen Kirchen sind für die Identität in den jeweiligen Ländern wichtig. Die Gefahr ist aber, dass sie sich für nationale politische Interessen instrumentalisieren lassen. Dabei geht es doch um eine theologisch qualifizierte Haltung zu gesellschaftspolitischen Fragen, die für das Zusammenleben der Völker entscheidend wäre. Im Lichte der biblischen Botschaft gibt es heute keine Rechtfertigung mehr für einen religiös aufgeladenen Nationalismus. Wer dem Frieden dienen will, muss hier umdenken. Diese Chance sollten orthodoxe Kirchenführer nicht verpassen.
Der Kommentar “Zum Sonntag” wird auf Bayern 2-Radio gesendet am Samstag, den 25.06.2016, von 17:55 bis 18:00 Uhr.