Fremdenfeindlichkeit oder kulturelle Vielfalt - Was wird aus unserem Zusammenleben?
Wer kennt schon ihre verschiedenen Lebenswirklichkeiten, die Vielfalt ihrer Kulturen und Sprachen, den Reichtum ihrer Kunstformen? Noch immer erfahren die Sinti & Roma oft keine Wertschätzung, sondern sehen sich vielfachen Diskriminierungen ausgesetzt. Der Antiziganismus zählt zu den aggressivsten Formen des Fremdenhasses in Europa. Musik allein hilft gegen diese Gewalt nicht. Was ist zu tun?
Studienleiter Jochen Wagner hatte in seiner Tagung „Sinti & Roma. Fremdenfeindlichkeit oder kulturelle Vielfalt. Was wir aus unserem Zusammenleben?“ untersucht, was die Lebenswirklichkeit des „fahrenden Volkes“ ausmacht und – im Hinblick auf Europa – was aus der Idee eines Lebens in Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit, dem Schutz der Gastfreundschaft und einem internationalen Recht auf Bürgerschaft geworden ist.
Zugang zu Bildung, Jobs und Wohnungsmarkt
In seiner einleitenden Rede betonte Romeo Franz, Geschäftsführer der Hildegard Lagrenne Stiftung in Mannheim, daß es derzeit 60.000 deutsche Sinti und 10.000 deutsche Roma gebe. Würde man auf die Geschichte dieser ethnischen Minderheit zurückblicken, so ergäbe sich ein düsteres Bild. Die Sinti und Roma waren gesellschaftlich unerwünscht und ohne feste Heimat, sie wurden diskriminiert und versklavt und hätten im Nationalsozialismus ihre schlimmste Zeit erlebt – den Tod in den Konzentrationslagern. Nur 10 Prozent, so Romeo Franz, hätten den Holocaust überlebt.
Auch heute noch würde die ethnische Minderheit ein Leben am Rande der Gesellschaft führen. 68 Prozent der deutschen Bevölkerung möchten Sinti und Roma nicht als Nachbarn haben. Und 81 Prozent der Sinti und Roma würden täglich Diskriminierungen in der Schule erfahren. Die Lehrer seien machtlos. Das Leben dieser Volksgruppe würde im Unterricht nicht thematisiert, klagte Franz und betonte: „Der Antiziganismus ist das größte Inklusionshemmnis.“ Wichtig und notwendig sei für die Sinti und Roma der Zugang zur Bildung. Nur ein guter Schulabschluss würde ihnen ein erträgliches Leben in der Mehrheitsgesellschaft ermöglichen. „Doch wenn man Gleichberechtigung beim Zugang zur Bildung für die Sinti und Roma will, muss man zunächst alle Vorurteile abbauen“, erörterte Franz.
Ebenfalls sei es wichtig, nicht übereinander, sondern miteinander zu reden, betonte der Sinto. So könnten beispielsweise gemeinsame Seminare, Workshops, Wochenenden oder kulturelle Veranstaltungen etwas über die Geschichte und Kultur der Sinti und Roma vermitteln. Ziel müsse es sein, so Franz in seinem Schlusswort, dass Sinti und Roma einen gleichen Zugang zum Bildungsmarkt, zum Arbeitsmarkt und zum Wohnungsmarkt bekämen.
Ein werteorientierter Pazifismus
Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, hob in ihrem Grußwort die „sträfliche Gleichgültigkeit der Bevölkerung gegenüber den Sinti und Roma“ hervor. Ständig würden Bilder vom vagabundierenden Zigeuner, dem nicht zu trauen sei, reproduziert. „Der Antiziganismus ist die verbreitetste Form des Fremdenhasses in Europa“, erklärte Knobloch und verband damit die Frage, was denn aus den hehren Zielen und der Idee Europas mittlerweile geworden sei: Freiheit, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Gastfreundschaft.
Dringend notwendig sei es, einen „werteorientierten Pazifismus“ zu vertreten, denn europaweit würde die Radikalisierung und die Rechtsorientierung rapide voranschreiten. „Das völkische, nationalistische Geschrei macht fassungslos“, klagte die jüdische Politikerin.
Unterschiedliche Genese bei Juden und Sinti & Roma
Ministerpräsident a.D. Dr. Günther Beckstein stellte in seinem Grußwort einleitend fest, dass wir uns als Gesellschaft viel mehr mit der Kultur der Sinti und Roma befassen müssten, um mehr voneinander zu lernen. Betrachte man das Schicksal der Juden und der Sinti und Roma, so ergäben sich jedoch große Unterschiede. Viele der Juden seien herausragende Persönlichkeiten gewesen. Das sei bei den Sinti und Roma nicht der Fall. Notwendig sei es deshalb, die Bildungschancen bei der ethnischen Minderheit zu verbessern, betonte Beckstein. Entscheidend sei auch, dass hinter den Juden zwei mächtige Länder stehen – die USA und Israel. Sinti und Roma hingegen würden hauptsächlich von Bulgarien, Rumänien und der Slowakei Unterstützung erfahren.
Eindringlich warnte der CSU-Politiker vor einem deutlichen Rechtsruck in Europa, der sich auch zu Lasten der ethnischen Minderheit auswirken könne. „Wir stehen an einer Wegmarkierung, wo jeder Stellung beziehen muss“, sagte Beckstein und verwiese auf den politischen Rechtsruck in den verschiedenen europäischen Ländern.
Verständnis in Europa für Sinti & Roma
In seinem Eröffnungsvortrag wies Erich Schneeberger, Vorsitzender des Verbandes Deutscher Sinti und Roma, auf die geschichtliche Verfolgung, Diskriminierung und Vernichtung der Sinti und Roma hin. „Es handelt sich um einen systematischen Völkermord, der auch für Polen und Serbien beurkundet ist“, so Schneeberger. Im Nachkriegsdeutschland sei der Genozid an den Sinti und Roma auch nicht hinreichend thematisiert worden. Ebenso seien die Opfer des Genozids nicht finanziell entschädigt und nachträglich gewürdigt worden.
Allerdings hätte am 17. März 1982 eine Zäsur stattgefunden. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt habe erstmals den Völkermord an den Sinti und Roma öffentlich benannt. Das sei ein unerlässlicher Beitrag für das Demokratieverständnis der Deutschen gewesen, so Schneeberger. Eine weitere Zäsur im Umgang mit der ethnischen Volksgruppe hätte 1997 stattgefunden mit der Gründung des „Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma“ in Heidelberg. Dort können sich interessierte Besucher mit der Geschichte und Kultur der Sinti und Roma auseinandersetzen. Heute, so Erich Schneeberger, gebe es 40 Ausstellungen europaweit über das Leben der Sinti und Roma. Das lässt darauf hoffen, dass das Verständnis für diese Volksgruppe innerhalb der europäischen Völker wächst und sich die Lebenschancen für die Sinti und Roma dadurch verbessern. Denn, so der Vorsitzende des deutschen Sinti- und Roma-Verbandes, Erich Schneeberger, „der Umgang mit Minderheiten ist der Prüfstein für jeden demokratischen Rechtsstaat.“
Den Eröffnungsvortrag von Erich Schneeberger, Vorsitzender des Verbandes Deutscher Sinti und Roma, erhalten Sie -> hier.
(Axel Schwanebeck)
Begrüßung im Schlosshof:
Ministerpräsident a.D. Dr. Günther Beckstein, Dr. h.c. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Erich Schneeberger, Vorsitzender des Verbandes Deutscher Sinti und Roma, sowie Akademiedirektor Udo Hahn (v.l.)
(Foto: Schwanebeck)
Gypsy Swing – Ein Geschenk an die Welt
Joe Bawelino (Gitarre)
(Foto: Schwanebeck)
Johannes Schaedlich (Kontrabass)
(Foto: Schwanebeck)
Sunny Franz (Violine)
(Foto: Schwanebeck)
Romeo Franz (Violine)
(Foto: Schwanebeck)
… last but not least
Aaron Weiss (Piano)
(Foto: Schwanebeck)