Ein Kurzbericht über die Frühjahrstagung des Politischen Clubs (18.-20.3.2016)
Die Türkei und der Iran sind Nachbarn, doch ihr Verhältnis zueinander ist ambivalent, insbesondere in der Außenpolitik. Der Iran wirkt in Syrien als Schutzmacht des Diktators Assad – zum Leidwesen der westlichen Nationen. Doch der Iran braucht den Westen, und er will diese Beziehungen intensivieren, vor allem vor dem Hintergrund des neuen Atomabkommens. Denn gerade an diesem Wochenende verkündete die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO), dass der Iran alle vereinbarten Maßnahmen zum Rückbau seines Atomprogramms umgesetzt habe. Wie für diesen Fall vereinbart, werden die EU und USA nun einen Großteil ihrer Sanktionen gegen das Land aufheben.
In der Türkei eroberte Recep Tayyip Erdogan bei den Parlamentswahlen die absolute Mehrheit zurück. Dass er noch mehr Macht will, daran lässt er keinen Zweifel. Der Islam bekommt in seinem Land mehr Gewicht, der Konflikt mit den Kurden wächst und die Meinungsfreiheit ist in Gefahr. Schließlich befinden sich die Beziehungen zu Russland auf einem Tiefstpunkt. Im Hinblick auf Syrien jedoch kämpft die Türkei gegen das Assad-Regime und nimmt weltweit die meisten Flüchtlinge auf.
Vor diesem Hintergrund stellte die Frühjahrstagung des Politischen Clubs sich die Frage, was die Türkei und der Iran wirklich wollen. Wie entwickeln sich die Beziehungen untereinander sowie zu Deutschland und der EU?
In seinem Einführungsreferat zeigte sich Prof. Dr. Udo Steinbach, Leiter des Governance Center Middle East/North Africa an der Humboldt-Viadrina School of Governance, davon überzeugt, dass im Nahen Osten „die Sicherheitsarchitektur der Zukunft von der Türkei und dem Iran“ gebaut werden. Die iranisch-türkischen Beziehungen in der Gegenwart seien pragmatisch orientiert, erklärte Steinbach und verwies auf den rasant steigenden Handelsaustausch zwischen beiden Ländern. Ergänzend fügte er hinzu, dass beide Länder ein großes Interesse daran hätten, „dass es keinen eigenständigen kurdischen Staat geben darf.“ Die Türkei und der Iran besitzen eine jahrhundertealte Geschichte des Umgangs miteinander. Das verbindet. Und beide wollen sich näher an den Westen anlehnen. Für den Iran stellte Bijan Djir-Sarai, Vorsitzender des FDP-Bezirksverbandes Düsseldorf, beispielsweise fest, dass das Land „aus sicherheitspolitischen Erwägungen heraus verbesserte Beziehungen zu den USA“ wünsche. Was die religiöse Ausrichtung beider Länder anbelangt, prognostizierte Professor Steinbach abschließend: „Mit dem Islam kann man keinen Staat machen und mit Islamisten keine Demokratie“.
Niels Annen, Außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, argumentierte ähnlich im Hinblick auf die Zukunft der Türkei: „Wir müssen ein Interesse daran haben, dieses geostrategisch wichtige Land näher an den Westen zu binden“. Allerding sieht Annen für einen EU-Beitritt der Türkei den richtigen Zeitpunkt für noch nicht gekommen. „Wir reden über 20 bis 25 Jahre, bis die Türkei Mitglied werden könnte“.
Auf die Notwendigkeit, in der Türkei nach wie vor einen „treuen Partner“ zu sehen, verwies gleichfalls der Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs (SPD). Er rief ins Gedächtnis zurück, dass die Türkei länger NATO-Mitglied sei als die Bundesrepublik Deutschland und dass der Beitritt der Türkei in die EU von den Bundeskanzlern Helmut Kohl und Gerhard Schröder „immer stark vorangetrieben“ worden sei.
Die heutige Situation in der Türkei
Nicht ganz so optimistisch beurteilten die heutige Lage in dem osmanischen Reich Dr. Michael Schramm, Studioleiter im ARD-Studio Istanbul, und Dr. Günter Seufert, Senior Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (Berlin), sowie Ali Ertan Toprak, Bundesvorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland e.V.. Sowohl Schramm als auch Seufert prangerten den sukzessiven Verlust der Pressefreiheit an: Verfolgung von kritischen Journalisten, Inhaftierungen von Redakteuren, absurde Strafverfahren gegen Journalisten, Verweigerung der Aushändigung von Presseausweisen, Infiltrierung der TV-Anstalten usw.
Im Hinblick auf die jüngst gewonnenen Parlamentswahlen von Erdogan stellte der ARD-Studioleiter fest, dass er „auf dem Weg zum Präsidialsystem“ sei. Dem stimmte Ali Ertan Toprak zu und ergänzte, dass die die Hälfte der türkischen Bevölkerung gegen das Erdogan-Regime sei. Allerdings – so räumten die drei Diskutanten ein – gäbe es unbestreitbare Erfolge von Erdogan: das bislang schwache Anatolien habe neue wirtschaftliche Kraft entwickelt, die Bedeutung des Militärs sei zurückgedrängt worden, in der Flüchtlingsfrage leiste die Türkei wirklich Großes. Hingegen sei Europa nicht in der Lage gewesen, das Flüchtlingsproblem zu lösen und sich auf sichere Flüchtlingswege zu einigen, erklärte der Sozialwissenschaftler Günter Seufert.
Problematisch: die Lage der Kurden
Laut ARD-Journalist Michael Schramm ist jeder fünfte Inhaber eines türkischen Passes ein Kurde. Innerhalb der kurdischen Bevölkerung gebe es heute eine große Sorge, „von Europa nicht mehr gesehen zu werden“, so Schramm. Dr. Seufert ergänzte, dass es eine Reihe von Verboten kurdischer Parteien oder von Parteien, die sich kurdische Forderungen zu eigen gemacht hätten, in naher Vergangenheit gegeben habe. Dadurch sei der bewaffnete Widerstand der PKK entstanden. In diesem Zusammenhang wies Michael Schramm auf die interessante Konstellation hin, dass in Syrien ein eigenständiges kurdisches Gebiet entstehe. „Die Kurden bekommen Waffen von Russland und Luftunterstützung von Amerika im Kampf gegen den IS“. Dem stimmte Ali Ertan Toprak zu und ergänzte, dass die Kurden gezeigt hätten, dass man den IS bekämpfen und zurückdrängen kann, wenn man mit Waffen ausgestattet würde. Allerdings – so Toprak – könne er nicht verstehen, dass die Kurden als Bodentruppen missbraucht würden und bei der Entscheidung über die Zukunft Syriens in Genf (Januar 2016) „am Katzentisch sitzen“, denn die syrischen Kurden seien bei den Verhandlungen nicht dabei gewesen. „Wenn es zu einem Frieden in Syrien kommt, sind die Kurden die gefährdetste Gruppe, denn sie haben keine Schutzmacht“, resümierte Günter Seufert die Diskussionsrunde.
Das EU-Türkei-Abkommen
Das Abkommen vom 18. März 2016 sieht vor, alle Flüchtlinge, die illegal von der Türkei nach Griechenland übersetzen, von Anfang April an zwangsweise in die Türkei zurückzubringen. Die EU hat sich im Gegenzug bereiterklärt, der Türkei bis zu 72 000 Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien abzunehmen. Für jeden Syrer, der in die Türkei zurückkehrt, will die EU einen Syrer aus der Türkei aufnehmen. Für Christiane Schlötzer, stellv. Ressortleiterin der Süddeutschen Zeitung, steht fest, dass es „schändlich gewesen sei, wie Europa Griechenland alleine gelassen“ habe. Schwierig sei es momentan, in der Kürze der Zeit den Deal umzusetzen, man brauche Beamte, Übersetzer, Sicherheitskräfte usw.
Die bis Ende Juni in Aussicht gestellte Visafreiheit für Türken, befürwortete SZ-Journalistin Schlötzer. Die Reisefreiheit böte insbesondere jungen Türken die Möglichkeit, Europa einmal kennen zu lernen. Außerdem, so Schlötzer, würde der Wegfall der Visumspflicht „eine neue Freiheit in der Türkei begründen“.
Die Rolle des Iran
Die Rolle des Iran im Nahen Osten beleuchtete Dr. Rolf Mützenich, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD für die Bereiche Außenpolitik, Verteidigung und Menschenrechte. Für Mützenich ist klar, dass die USA auch in Zukunft der Ankerpunkt für die iranische Außenpolitik bleiben werden. Deutschland könnte den Iran als Akteur in die außenpolitischen Aktionen einbinden, „wenn wir die gleichen Interessen haben“. So würde Iran beispielsweise auch an einer konstruktiven Lösung des Syrien-Konflikts mitarbeiten, zeigte sich Mützenich überzeugt. Konfliktreich hingegen könne sich das Verhältnis des Iran zu Saudi-Arabien entwickeln, da beide „um eine Vormachtstellung im Nahen Osten kämpfen und eine Situation schaffen könnten, wo eine friedliche Koexistenz nicht mehr möglich ist“.
Für den früheren Bundesminister Jürgen Trittin (Grüne) steht fest, dass man für eine Lösung der Syrien-Krise den Iran in die Verhandlungen miteinbeziehen müsse. Durch das nach langen Verhandlungen unterzeichnete Nuklearabkommen und den Erfolg von gemäßigten Konservativen bei den letzten Wahlen gebe es neue Kooperations-Möglichkeiten mit dem Iran. Zugleich warnte Trittin vor Illusionen einer Partnerschaft: Der Iran sei immer noch ein Überwachungsstaat mit anhaltenden Verletzungen der Menschenrechte und einer hohen Zahl von Hinrichtungen. Für Jürgen Trittin ist eindeutig: „Es wird im Iran nicht zu einer Revolution über Nacht kommen. Besser wäre es, sich an Egon Bahr zu erinnern, der in Tutzing 1963 den politischen Weg ‚Wandel durch Annäherung‘ begründete“.
Was wird aus Syrien?
Vor dem Krieg war Syrien ein friedliches Land, in dem es viele unterschiedliche Weltanschauungen gab, aber keine Demokratie. Heute gibt es in Syrien ein Gemisch aus vielen Völkern und Religionen und Auseinandersetzungen zwischen den Schiiten und Sunniten. An dem Land Syrien hat Russland ein vitales Interesse, da es dort den einzigen Marinestützpunkt im Mittelmeerraum besitzt. Politisches Interesse an Syrien hat auch die Türkei. Erdogan war sehr befreundet mit Syriens Präsident Baschar Al Assad. Der türkische Präsident wollte, dass Assad moderater agierte am Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen.
Voraussetzung für den Friedensprozess in Syrien sei eine gemeinsame Friedenspolitik der Nachbarstaaten und Europas, sagte Dr. Hannes Swoboda, Präsident des Internationalen Instituts für den Frieden (Wien). Europa müsse erkennen, dass die Krisenstaaten in seiner Nachbarschaft liegen und deshalb sein Engagement in dieser Region deutlich erhöhen. Als Beispiele nannte Swoboda eine Öffnung der Märkte und einen intensiveren kulturellen Austausch.
Kann Syrien ein Einheitsstaat werden? Der Präsident des Internationalen Instituts für den Frieden verneinte das mit der Begründung, dass zu viele unterschiedliche politische und religiöse Gruppierungen sich schon in dem Land festgesetzt hätten und die Länder Saudi-Arabien, Iran, Türkei nicht auf ihren Einfluss verzichten würden. Bei der Befriedung Syriens sei es wichtig, dass alle Regionalmächte sich in einem neuen syrischen Staat wiederfinden müssten. „Die ganze Region“, so Swoboda abschließend, „kann nur zufrieden gestellt werden, wenn es unkonventionelle Lösungen gibt, z.B. eine einheitliche Behörde für die Wasserversorgung“.
Zum Abschluss der Veranstaltung warnte der frühere bayerische Ministerpräsident und Leiter des Politischen Clubs Günter Beckstein (CSU) noch einmal vor den Gefahren des IS. Auch wenn eine militärische Niederlage des IS wahrscheinlich sei, bleibe die Frage offen, was dann aus den vielen IS-Kämpfern werde. „Es ist zu befürchten, dass sie mit falschen Pässen ausgestattet werden und zu neuen terroristischen Einsätzen in vielen Teilen der Welt aufbrechen“.
(Axel Schwanebeck)
„Mit dem Islam kann man keinen Staat machen und mit Islamisten keine Demokratie“, resümierte Prof. Dr. Udo Steinbach, Leiter des Governance Center Middle East/North Africa an der Humboldt-Viadrina School of Governance, seinen Vortrag.
(Foto: Haist)
Niels Annen, Außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, betonte im Hinblick auf die Türkei: „Wir müssen ein Interesse daran haben, dieses geostrategisch wichtige Land näher an den Westen zu binden“.
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Johannes Kahrs (SPD) stellte fest: ” Der Iran hat ein großes Interesse daran, dass Assad überlebt und die existierenden Grenzen bestehen bleiben.”
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“Die USA bleiben auch in Zukunft der Ankerpunkt für die iranische Außenpolitik”, erklärte Dr. Rolf Mützenich MdB (SPD).
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Voraussetzung für den Friedensprozess in Syrien sei eine gemeinsame Friedenspolitik der Nachbarstaaten und Europas, sagte Dr. Hannes Swoboda, Präsident des Internationalen Instituts für den Frieden (Wien).
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Für den früheren Bundesminister Jürgen Trittin (Grüne) ist eindeutig: „Es wird im Iran nicht zu einer Revolution über Nacht kommen. Besser wäre es, sich an Egon Bahr zu erinnern, der in Tutzing 1963 den politischen Weg ‚Wandel durch Annäherung‘ begründete“.
(Foto: Haist)