Zivilcourage geht uns alle an!

Wie kann ein nachhaltiges Engagement für demokratische Werte entstehen? Indem wir uns vernetzen, Gespräche und Auseinandersetzungen führen und Zivilcourage zeigen. All dies geschah auf der Tagung “Zivilcourage – was geht mich das an?” im Januar 2024 und ist auch die Motivation für unsere Tagung “Werte (er-)leben”, die vom 17.-19. Januar 2025 stattfindet.

Waren Sie dabei, als Anfang 2024 hunderttausende Menschen in ganz Deutschland auf die Straße gingen, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren? Ausgelöst wurden diese Proteste durch Berichte über ein Geheimtreffen von Rechtsextremen, hochrangigen Politiker:innen und Unternehmer:innen in Potsdam. Dabei wurden Pläne besprochen, Menschen mit Migrationshintergrund aus dem Land zu drängen.

Demonstrationen allein können unsere Demokratie wohl nicht retten. Wie also kann aus spontanen Protesten ein nachhaltiges Engagement für demokratische Werte entstehen? Zum Beispiel, indem wir unsere Sorgen und Hoffnungen teilen, die uns auf die Straße gebracht haben. Indem wir Gespräche und Auseinandersetzungen führen, in der Familie, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz. Indem wir jeden Tag mutig für unsere demokratischen Werte eintreten, sie schützen und verteidigen – oder anders gesagt: Zivilcourage zeigen.

Zivilcourage – was geht mich das an? Dieser Frage widmete sich die Tagung in Kooperation mit dem Bayerischen Bündnis für Toleranz, die vom 26. bis 28. Januar 2024 in der Evangelischen Akademie Tutzing stattfand. Über einhundert Bürger:innen, Mitglieder zivilgesellschaftlicher Initiativen sowie Vertreter:innen aus Politik, Wissenschaft, Polizei und Kultur kamen zusammen, um in Vorträgen, Workshops, Interviews und Diskussionsrunden Wissen zu erweitern und Handlungskompetenzen zu stärken.

In seinem Eröffnungsvortrag zeigte der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Edgar Grande aktuelle Bedrohungen der Demokratie sowie die Relevanz von Zivilgesellschaft und Zivilcourage auf. Für die Zivilgesellschaft sah Grande drei wesentliche Aufgaben:
(1) Grenzen setzen. Damit meinte er, die Grenzen des Erlaubten basierend auf unserer demokratischen Grundordnung zu markieren und dafür Sorge zu tragen, dass sie eingehalten werden.
(2) Brücken bauen. Das bedeutet, aktiv das Gespräch zu suchen und im Dialog zu bleiben, auch mit Andersdenkenden.
(3) Vertrauen bilden. Das kann heißen, Demokratie (vor-)zuleben, durch öffentliche Debatte Transparenz zu schaffen und Begegnungen im öffentlichen Raum zu ermöglichen und auszuhalten.

Anschließend teilte Prof. Dr. Julia Sasse, Professorin für Medienpsychologie mit dem Schwerpunkt Zivilcourage, Erkenntnisse aus der psychologischen Forschung. Demnach geben Menschen zwar an, dass sie in vorgestellten Situationen (fast) alle zivilcouragiert handeln würden. Jedoch greifen sie in realen Situationen viel seltener ein. Ein Grund dafür ist die Komplexität von Zivilcourage als mehrstufiger Prozess, der an verschiedenen Stellen abbrechen kann. Um einschreiten zu können, müssen Menschen eine Notsituation zunächst einmal wahrnehmen und als solche interpretieren, sich darüber hinaus verantwortlich fühlen sowie über die notwendigen Handlungskompetenzen verfügen.

Ausgehend von diesem Stufenmodell der Zivilcourage vermittelte der Verein Zivilcourage für ALLE e.V. in drei aufeinander aufbauenden Workshops, wie Menschen in kritischen Situationen zivilcouragiert handeln können, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. In Reflexionsrunden, Rollenspielen und praktischen Übungen transportierten die Trainer:innen drei Kernbotschaften: (1) Die Situation deeskalieren: Das Opfer schützen, nicht den Täter stellen, (2) Fluchtweg sichern, (3) Verbündete suchen, zum Beispiel Passant:innen oder die Polizei. Es gilt das Motto: Kleine Schritte statt Heldentaten!

In einem humorvollen Abendgespräch teilte Nicolo Witte, ehemaliger Kriminalhauptkommissar für verhaltensorientierte Prävention und Opferschutz, Einblicke in die Polizeiarbeit zu Zivilcourage und Gewaltprävention, in den Präventionskurs “Pack ma‘s” für Lehrkräfte, Kinder und Jugendliche sowie in seine Tätigkeit bei “Keine Macht den Drogen e.V.”. Auch eine Kostprobe von seinem Zivilcourage-Kabarett durfte nicht fehlen.

Auf dem Markt der Möglichkeiten präsentierten sich verschiedene Vereine, Organisationen und Initiativen, die sich für Demokratie und Menschenwürde einsetzen. Vertreten waren das Bundesnetzwerk Zivilcourage, die Fachinformationsstelle Rechtsextremismus München, Lichterkette e.V., “München ist bunt!” e.V., Omas gegen Rechts, One Billion Rising München e.V., Theater EUKITEA, Weisser Ring e.V. und YouthBridge. An den Marktständen traten die Besucher:innen in den persönlichen Austausch mit den Ehrenamtlichen und informierten sich, wie sie sich gemeinsam mit anderen engagieren können.

In einem abschließenden Podiumsgespräch diskutierten die Psychologin Prof. Dr. Julia Sasse, der Kabarettist Christian Springer und der Politiker Johannes Becher MdL, wie Zivilcourage in unserer Gesellschaft verankert werden kann. Für Sasse ist Bildung ein zentraler Baustein für eine zivilcouragierte Gesellschaft. Ein klares Bewusstsein darüber, welche Werte unser Zusammenleben leiten und die gemeinsame Anstrengung, diese Werte zu etablieren und vorzuleben, sieht sie als notwendig an. Springer schreibt der Sozialisation in der Familie und Zivilgesellschaft eine grundlegende Rolle für die Werte zu, die ein Mensch entwickelt und ausbildet. Den eigenen Wertekompass kontinuierlich und unabhängig zu reflektieren, sei unerlässlich, fügte Springer hinzu. Becher kritisierte bei dem Gespräch die emotionale Aufladung von Sachthemen in der Politik. Er plädierte für eine Zusammenarbeit über Parteien hinweg, um die besten Lösungen für unsere Gesellschaft zu erarbeiten.

Heute, ein Jahr später, ruft Tech-Milliardär Elon Musk zur Wahl der in Teilen gesichert rechtsextremen AfD auf. In Österreich finden Gespräche über eine Regierungsbildung durch die rechtspopulistische FPÖ statt. In den USA wird ein verurteilter Straftäter, der einen Angriff auf demokratische Institution unterstützt und sich wiederholt offen rassistisch positioniert, zum Präsidenten vereidigt.

Unsere Demokratie steht unter Druck. Um zu bestehen, braucht sie couragierte Bürgerinnen und Bürger, die ihr Wertefundament schützen und verteidigen. Daran schließt die Tagung “Werte (er-)leben” an, die in Kooperation mit dem Wertebündnis Bayern und dem Bayerischen Bündnis für Toleranz vom 17. bis 19. Januar 2025 in der Evangelischen Akademie Tutzing stattfinden wird (alle Informationen zur Tagung finden Sie hier). Auch bei dieser Veranstaltung werden sich auf einem Markt der Möglichkeiten verschiedene Bündnisse und Vereine vorstellen, die eine Vielfalt an demokratischen Werten präsentieren. Am Sonntagvormittag zwischen 9.00 Uhr und 10.30 Uhr kann jedermann und jederfrau vorbeikommen und sich kostenlos informieren, eine Anmeldung ist nicht nötig. Ob zur gesamten Tagung oder zu einzelnen Programmpunkten, wir heißen Sie herzlich willkommen!

Dr. Nadja Bürgle
Studienleiterin für Soziales und Bildung, Wirtschaft und Arbeitswelt, Nachhaltige Entwicklung

Bild: Die Psychologin Prof. Dr. Julia Sasse, der Politiker Johannes Becher MdL und der Kabarettist Christian Springer diskutierten unter der Moderation von Pfr. Udo Hahn, wie sich Zivilcourage in der Gesellschaft verankern lässt (Fotos von Harald Damskis / Zivilgesellschaft für ALLE e.V. und Romy Stangl / One Billion Rising München)