Roger de Weck über die Zukunft des Journalismus
Die Gesetze des Medienbetriebs und die des Journalismus laufen immer weiter auseinander. Wie sich der Journalismus trotzdem stärken lässt, ist Thema des neuesten Buches von Dr. h.c. mult. Roger de Weck, Publizist und Leiter des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie Tutzing. Im Jahresheft des Freundeskreises der Akademie, das in diesem Monat erscheint, findet sich unter anderem ein Interview mit Roger de Weck darüber. Hier können Sie es vorab lesen.
Ihr Buch mag einem Angst machen, Sie schildern eine “Krise des Journalismus”. Was war der Anstoß dafür?
Seit einem halben Jahrhundert bin ich im Journalismus: einem wunderschönen Beruf, der immer schwieriger wird. Dagegen wollte ich anschreiben.
Tatsächlich erscheinen lauter Meldungen über Stellenabbau in Medienhäusern erschienen. Sind Sie überrascht?
Nicht im Geringsten. Mancher Verlag hat im Kern keine andere Strategie als das Sparen.
Haben Sie Vertrauen darin, dass trotz Einsparungen Maßnahmen zur Qualitätssteigerung umgesetzt werden können?
Der Rohstoff des Journalismus ist die Aktualität, die es kundig zu spiegeln gilt. Redaktionen brauchen rasch abrufbare Fachkompetenz auf fast jedem Sachgebiet. Je kleiner die Redaktion, desto kleiner ihre Kompetenz. Um Themen zu vertiefen, bedarf es möglichst vieler Spezialisten. Generalisten sind auch wichtig, bleiben aber nicht selten an der Oberfläche.
Überblicken wir Ihr Buch “Das Prinzip Trotzdem”, gibt vieles Anlass zur Sorge. Was beunruhigt Sie am meisten?
Meine Branche ist in ähnlicher Verfassung wie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die europäische Textilindustrie: Unablässig ging es herunter. Wird jetzt von Jahr zu Jahr das Redaktionsbudget gekürzt, verabschieden sich viele gute Köpfe. Enttäuschte Redakteurinnen und Journalisten wandern ab zu Stiftungen, Denkfabriken, PR-Agenturen, Kommunikationsstellen. Die Verbleibenden sind gestresst, weil sie immer schneller immer mehr leisten müssen – und weil der Verlag diesen Einsatz «honoriert», indem er noch härter spart. Das schreckt auch gute Köpfe ab, in den Journalismus einzusteigen. Wer will sein Berufsleben verbringen in einer Branche, die ungute Perspektiven eröffnet? Der Braindrain ist die größte Gefahr, von der am wenigsten die Rede ist. Es gibt löbliche Ausnahmen und viel Idealismus gerade bei angehenden Kolleginnen und Kollegen. Aber wenn viele Talente fernbleiben, wird der Journalismus nicht besser.
Wonach wird die Leistung, einer Journalistin, eines Journalisten heutzutage bemessen?
Im Alltag müssen sie mehr produzieren, sie können weniger recherchieren – mit Ausnahme jener Teams, die in einzelnen größeren Redaktionen auf investigative Recherchen spezialisiert sind: eine der guten Entwicklungen! Am besten fährt mittelfristig jene Handvoll Medien, die nach wie vor in die Redaktion investiert.
Der Titel ihres Buchs klingt zunächst optimistisch. Spontan kommt einem das Prinzip Hoffnung von Ernst Bloch in den Sinn. Gibt es noch Grund zum Optimismus?
“Das Prinzip Trotzdem”, also der Buchtitel, ist noch hoffnungsvoller als das Prinzip Hoffnung. Im Trotzdem steckt der Wille, sich nicht beirren zu lassen durch Schläge und Rückschläge. Das Trotzdem ist ohnehin der Kern des Journalismus: Wer recherchiert, wird oft abgewiesen, läuft immer wieder auf, und fährt trotzdem fort.
Würden sie das als Kampf gegen das Altbekanntgewordene, oder gegen den Mainstream bezeichnen?
Mit dem Wort “Mainstream” kann ich nichts anfangen. Es diskreditiert eine Meinung, nur weil viele Menschen diese teilen. Wer den “Mainstream”-Vorwurf erhebt, setzt sich nicht damit auseinander, ob die Meinung argumentativ fundiert ist oder nicht. Ein Beispiel: Rechts- und Linkspopulisten beteuern, alles Ökologische sei Mainstream. Aber wenn sie mit fremdenfeindlicher Politik die Lufthoheit über die Stammtische und die sozialen Medien gewinnen, ist das in ihrem Vokabular dann gar nicht Mainstream, sondern “Volkes Stimme”.
Würden Sie sagen, dass das Vertrauen in den Journalismus grundsätzlich abnimmt?
Ein Journalismus, der nur wenig recherchiert, mindert seine Glaubwürdigkeit. Aber wo seriös gearbeitet werden kann, bleibt das Vertrauen hoch. Jene Medien, die genug Mittel für einen vertiefenden Journalismus haben, genießen nach wie vor eine hohe Glaubwürdigkeit – angefangen bei den Öffentlich-Rechtlichen.
Journalismus ist ein Kind der Aufklärung. Machen die Öffentlich-Rechtlichen in dieser Rolle eine gute Figur?
Bei all den Stärken und Schwächen eines jeden journalistischen Angebots bieten sie insgesamt hervorragenden Journalismus. Die Feinde der offenen Gesellschaft befehden heftiger denn je die öffentlichen Medienhäuser. In Europa bekämpfen lauter Rechtsautoritäre den audiovisuellen Public Service, sie sind keine Freunde der Pressefreiheit.
Wie sollen Medien mit dem Populismus umgehen, der das Vertrauen in die Medien zu erschüttern versucht?
Indem sie sich treu bleiben: recherchieren, sich nicht beirren lassen, keinesfalls auf billige Provokationen der reaktionären Propaganda hereinfallen, nur weil diese Aufsehen erregen und Klicks erzeugen. In einem Wort: die politische Agenda der Populisten nicht übernehmen. Der Journalismus hat jeden Gegenstand der Berichterstattung distanziert, nüchtern und kritisch zu behandeln.
Meinungsartikel sind heute ein wichtiger Teil des Angebots der Medien. Wie wichtig ist die Trennung von politischer Meinung und journalistischer Arbeit, also die kritische Prüfung von Geschehnissen?
Fast jeder Mensch hat eine Werteordnung. Der Journalismus ist ein Kind der Aufklärung, und so verpflichten ihn die Werte der Aufklärung. Und diese Grundhaltung fließt in vieles hinein, bis in die Auswahl jener Themen, die man für wichtig oder aber für nachrangig hält. Mit anderen Worten kann es keinen absolut neutralen Journalismus geben – wohl aber einen, der für verschiedenste Fragestellungen offen ist und sich redlich bemüht, alle Fakten und Aspekte der jeweiligen Fragestellung aufzuarbeiten. Journalisten müssen Fakten suchen, prüfen und einordnen, sie in den Zusammenhang stellen, analysieren und gewichten, bei Bedarf diese Fakten auch korrigieren. Erst dann folgt eine fakultative Aufgabe, nämlich die Fakten eventuell zu kommentieren: sie in eine Ordnung zu bringen. Und das ist, was man Meinung nennt. Da gibt es Abstufungen: die sogenannte News Analysis, also die nackte Faktenanalyse; den Kommentar, der auf die Schnelle eine Aktualität beleuchtet; und den fundierten Leitartikel, an dem man im besten Fall Tage, wenn nicht Wochen gearbeitet hat, um eine Entwicklung einzuordnen und die Folgen zu ziehen. Allerdings entwertet die Meinungsinflation in sozialen Medien auch die journalistischen Meinungen. Warum? Weil das allgemeine Gefühl aufkommt, Meinungen seien buchstäblich x-beliebig – und zwar nicht nur auf “X”, früher Twitter.
Das wird auch in der Politik bewusst eingesetzt. Leidet die Fähigkeit von Medien, aktuelle politische Geschehnisse angesichts dieser Meinungsvielfalt und Online-Streitereien professionell einzuordnen und für die Etablierung von Fakten zu sorgen?
Es birgt hohe Gefahr, dass der Journalismus die sozialen Medien nachahmt. Digitale Plattformen wie X haben Algorithmen, die emotionalisieren, polarisieren und brutalisieren. Aufgabe des Journalismus ist das Gegenteil, nämlich sachlich zu bleiben. Aber seit Journalismus zum Verlustgeschäft geworden ist, suchen etliche Medien ihre Rettung darin, ebenfalls zu emotionalisieren oder ideologisch zu polarisieren, nach dem Muster der sozialen Medien. Hinzu kommt: Instagram, TikTok & Co. sind ein Jahrmarkt der Selbstdarsteller, und in ihrem Fahrwasser bringen auch journalistische Medien immer mehr Ich-Artikel: Das ziemlich unbedeutende Ich des Berichterstatters wird manchmal wichtiger als der Gegenstand der Berichterstattung.
An welchen Phänomenen lässt sich diese Gefahr sonst noch festmachen?
In sozialen Medien betreibt eine Schar von Influencerinnen und Influencer Lebensberatung: wie man essen, sich kleiden, abmagern oder Muckis trainieren soll. Solches Coaching bieten nunmehr sogar die Qualitätsmedien. Auch lässt sich der Zuspitzungsjournalismus nicht übersehen, analog zur Scharfmacherei des Posts, die eine plakative Meinung posaunen. Es ist ein Festival des Absoluten und Definitiven. Der Journalismus, der sich von den sozialen Medien unterscheiden sollte, befolgt ihre Gesetze.
Warum polarisieren journalistische Texte weniger stark als Beiträge in sozialen Medien?
Von den Aufgaben des Journalismus wird in sozialen Medien hauptsächlich eine wahrgenommen – das Kommentieren, Kommentieren und nochmals Kommentieren. Da herrscht ein Meinungsüberschuss. Der Journalismus müsste umso bewusster zunächst Fakten recherchieren, prüfen und überprüfen, um die Materie zu durchdringen. Er sollte all das tun, was auf den digitalen Plattformen zu kurz kommt. Doch wenn er das unterlässt, fehlt ihm zusehends das Gewicht, die Geltung.
Funktioniert das bei uns?
Dort, wo die nötigen Mittel vorhanden sind, funktioniert es hervorragend. Jene Medien, die sich an die Elite oder das Establishment wenden, sind tendenziell besser geworden. Sie haben ein kaufkräftiges Publikum von Entscheidungsträgern, das gut informiert sein muss und bereit ist, dafür gutes Geld zu zahlen. Hier liegt nicht das medien- und demokratiepolitische Problem. Aber die breite Bevölkerung verlässlich zu informieren, ist unrentabel geworden – das gefährdet die Demokratie, die auf gut informierte Bürgerinnen und Bürger angewiesen ist. So plädiere ich einerseits für mehr Verantwortungsbewusstsein des Journalismus, andererseits für Hilfen der öffentlichen Hand an private Medien. Der defizitär werdende Journalismus ist eine kritische Infrastruktur der Demokratie; diese instand zu halten, ist ebenso wichtig wie das Instandhalten der Deutschen Bahn.
Was droht uns konkret, wenn das misslingt?
Der Niedergang des Journalismus und ein wachsender Schaden an der Voraussetzung von Demokratie: der politischen Kultur. Das Beispiel der USA, wo bereits 70 Millionen Menschen kein lokales Medium mehr haben, müsste uns aufhorchen lassen. Diese US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner leben in sogenannten Medienwüsten, informieren sich vornehmlich in sozialen Medien und radikalisieren sich. Auch deshalb ist eine staatliche Förderung des Journalismus unerlässlich. Wo der Gesetzgeber klug arbeitet, sind die Ergebnisse eindrucksvoll.
Ein Beispiel?
Norwegen, Schweden, Finnland und Dänemark sind spitze in der Rangliste der Medienfreiheit. Die nordeuropäischen Medien genießen ein hohes Ansehen bei den Bürgerinnen und Bürgern. Zugleich sind die vier Länder ebenfalls spitze in der Medienförderung. Wenn unabhängige Instanzen feste Regeln befolgen und quasi automatisch die Hilfen vergeben, entsteht keine Staatsabhängigkeit – im Gegenteil: Presseförderung stützt die Pressefreiheit. Was wäre denn eine Pressefreiheit mit immer weniger Presse? Wegweisend ist namentlich Dänemark, dort werden nicht Medienhäuser unterstützt, sondern deren journalistische Leistung: Die Geldhilfen bemessen sich prozentual an der Höhe des redaktionellen Budgets. Baut der Verleger die Redaktion ab oder kürzt er die Lohnsumme, erhält er weniger Staatshilfen.
In all dem spielt auch Künstliche Intelligenz eine Rolle. Wie beurteilen Sie die Rolle von KI?
Die KI kennt bloß das Bekannte. Journalisten jedoch suchen das Unbekannte. Die KI kennt auch nur das Bekannte im Internet, nicht in der wirklichen Welt. KI kann nützlich sein bei zahlreichen Hilfsaufgaben, etwa beim Verarbeiten gewaltiger Datenmengen. Aber im Kern bedarf es der menschlichen Intelligenz von Rechercheuren, die wissen wollen, was man noch nicht weiß – zumal, wenn die Mächtigen verhindern möchten, dass man es weiß.
Haben Sie großes Vertrauen in die Wissbegierde von Journalisten?
Die meisten sind echt neugierig.
Sie nehmen keine Trägheit der Journalisten wahr?
Jede Branche kennt eine Gaußsche Kurve der Begabungen, des Engagements und der Kenntnisse. Der Journalismus erbringt unverdrossen großartige Leistungen. Gemäß dem Prinzip Trotzdem leisten unzählige Kolleginnen und Kollegen eine super Arbeit – widrigen Arbeitsbedingungen zum Trotz.
Das Interview führte Pascal Moser
Hinweise:
- Das Interview ist im Schweizer Magazin Doppelpunkt (www.doppelpunkt-magazin.ch), Ausgabe vom 24. Oktober 2024, erschienen. Er wurde für das Jahresheft 2024 des Freundeskreises der Evangelischen Akademie Tutzing geringfügig bearbeitet.
- Das Jahresheft des Freundeskreises erscheint jedes Jahr im Dezember und wird zu Weihnachten an alle Mitglieder des bayernweit agierenden Vereins versendet. Mehr Informationen zum Freundeskreis finden Sie hier.
- Das Buch von Roger des Weck ist im Suhrkamp Verlag unter dem Titel “Das Prinzip Trotzdem – Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen” (224 Seiten, 17 Euro) erschienen.
- Die Herbsttagung des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie Tutzing vom 15.-17. November 2024 stand unter dem Thema “Information und Desinformation”. Hierzu folgt noch ein ausführlicher Bericht, der auf der Website der Akademie erscheint.