NUR, WENN WIR UNS MIT KLASSISMUS AUSEINANDERSETZEN, IST EINE SOZIAL GERECHTE GESELLSCHAFT MÖGLICH.
Francis Seeck
Der Begriff der Klasse erlebt derzeit eine Renaissance. Francis Seeck zufolge liegt der Grund dafür in der stetig wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich. Diese Entwicklung verschärft sich durch die Krisen der letzten Jahre massiv. Klassismus beschreibt die Auswirkungen dieser Entwicklung: Vorurteile gegenüber und Ausschlüsse von Menschen aufgrund ihrer vermuteten ökonomischen Situation und ihrer damit verbundenen sozialen Herkunft. Dabei ist Klassismus kein neues Problem, allein der Begriff reicht in die 70er und 80er Jahre zurück. Das Phänomen selbst mag wohl so alt sein, wie der Mensch selbst.
Benachteiligung aufgrund von Klassismus betrifft alle Bereiche des alltäglichen oder gesellschaftlichen Lebens: Gesundheits- wie Bildungssystem, Wohnungsmarkt, unser menschliches Miteinander, das von erlernten Normen, Denk- und Verhaltensmustern geprägt wird. Klassismus tritt dabei selten isoliert auf. Oft verschränkt sich die Benachteiligung mit anderen Diskriminierungsformen wie Rassismus oder Sexismus.
Auch Kunst und Kultur – Bereiche, die sich gerne als offen und vielseitig positionieren – bleiben dadurch vielen Menschen, die in Armut aufgewachsen sind oder in Armut leben, verwehrt. Das gilt sowohl für die Ebene des Publikums, wie auch für die Menschen, die in der Kunstproduktion oder -vermittlung tätig sind. Der Besuch von Theatern, Konzertsälen, Museen oder Kunsthochschulen wird von finanziellen ebenso wie von sozialen Ressourcen bestimmt. Eine Anstellung in der Kulturbranche muss man sich finanziell leisten können, denn der Einstieg erfordert zunächst Praktika und/oder Volontariate, die in der Regel nicht oder nur prekär bezahlt werden. Die tatsächliche Zugänglichkeit spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Sorge oder die Erfahrung, aufgrund der sozialen Herkunft nicht akzeptiert oder verurteilt zu werden.
Dabei könnte eine für alle offene Kunst- und Kulturwelt einen maßgeblichen Beitrag zu individuellem Wohlbefinden und einem gerechteren Miteinander leisten. Schließlich hat Kunst das Potenzial, Begegnungs- und Austauschort zu sein, Widerständigkeit und Vielfältigkeit zuzulassen, Ambivalenzen auszuhalten. Kunst kann faszinieren, über Grenzen hinwegführen und begeistern.
Wir wollen auf der Tagung Menschen zu Wort kommen lassen, die diese Potenziale von Kunst und Kultur aus ihrer praktischen Arbeit kennen und sich der klassistischen Schwächen des Systems bewusst sind. Wir kommen mit Expert:innen, Forscher:innen, Kulturpolitiker:innen und Kunstschaffenden ins Gespräch, die sich tagtäglich bemühen, Barrieren abzubauen und Zugänge für alle zu schaffen. Wir beleuchten das Problem Klassismus im Kunst- und Kulturbereich aus unterschiedlichen Perspektiven und lernen, worauf es in der Praxis ankommt, damit wir dem seit den 1970 Jahren postulierten „Kultur für alle" näherkommen.
Alix Michell, Evangelische Akademie Tutzing
Sabine Ruchlinski und das Team der Landesgruppe Bayern der Kulturpolitischen Gesellschaft e. V.
Dr. Johanna Vocht, STADTKULTUR Netzwerk Bayerischer Städte e.V.