Demokratie fällt nicht vom Himmel
Sollte man einen Gedenktag zu Ehren von Freiheit und Demokratie einführen, wie es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seit langem favorisiert? Um diese Frage – und um den Zustand der Demokratie geht es im Gastkommentar von Akademiedirektor Udo Hahn für die Bayern 2-Sendung “Zum Sonntag”.
Sendetermin: Samstag, 18. März 2023 um 17.55 Uhr auf Radio Bayern 2
Ist die Demokratie in der Krise? Eine Antwort auf diese Frage ist nicht einfach. Tatsächlich lassen sich seit Jahren Entwicklungen beobachten, die die Demokratie nicht nur herausfordern, sondern auch bedrohen können. So verlieren zum Beispiel nationale, gewählte Parlamente und Regierungen durch Globalisierung von Politik und Wirtschaft an Einfluss. Weniger als die Hälfte der Menschen in Deutschland ist unzufrieden damit, wie die Demokratie bei uns funktioniert. Populistische Kräfte, die undemokratische Positionen vertreten, finden Zustimmung.
Aber es gibt auch Entwicklungen, die hoffnungsvoll stimmen. Den meisten Menschen ist es wichtig, in einer Demokratie zu leben. Vor allem die junge Generation nutzt verstärkt weitere demokratische Mittel als nur Wahlen, um sich politisch zu beteiligen.
Betrachtet man durch sogenannte Demokratie-Indizes mehrere Faktoren gleichzeitig, zeigt sich die Demokratie in Deutschland derzeit nicht gefährdet. Im internationalen Maßstab jedoch verliert die Demokratie an Boden. Erstmals seit 2004 verzeichnet der Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung mehr autokratische als demokratische Staaten. Diese Beobachtung deckt sich mit den Ergebnissen des “Atlas Zivilgesellschaft”, den das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt gemeinsam mit der Organisation Civicus Berlin herausgibt. Demnach beschneiden sechs von zehn Ländern die Grundrechte.
Vereinigungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit sind aktuell so eingeschränkt wie nie zuvor. 88 Prozent der Weltbevölkerung werden diese Rechte nicht garantiert. Sich gegen soziale Ungerechtigkeit, Diskriminierung oder Umweltzerstörung zu engagieren, wird in vielen Weltregionen zunehmend schwieriger. Lediglich drei Prozent der Weltbevölkerung leben dieser Studie zufolge in Staaten, in denen zivilgesellschaftliche Grundfreiheiten garantiert sind. Deutschland gehört dazu.
Die deutsche Demokratie ist als „wehrhafte“ Demokratie mit Gewaltenteilung und Gewaltenverschränkung angelegt, um ihre Selbstabschaffung zu verhindern. Zugleich gilt: Die Demokratie fällt nicht vom Himmel. Oder mit den Worten von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: “Die Zukunft der Demokratie liegt also in unserem Einsatz für die Demokratie der Zukunft.” Der Bundespräsident plädiert schon seit Jahren für einen Gedenktag zu Ehren von Freiheit und Demokratie. Infrage käme dafür übrigens der 18. März.
1793 wurde in Mainz die erste Republik in Deutschland ausgerufen. 1848, vor 175 Jahren, feierte in Berlin die demokratische Revolution ihre Erfolge. Und am 18. März 1990 fand die erste freie Volkskammerwahl in der DDR statt. Auch aus europäischer Perspektive ließen sich Beispiele anführen.
Vor diesem Hintergrund steht der 18. März für Aufbruch und Erneuerung, vor allem aber für das Ringen um Freiheit und Selbstbestimmung. Eine Entwicklung, die – wie die deutsche Geschichte zeigt – nicht geradlinig verlief. Denn absolutistisch regierende Landesherren stellten sich damals den Freiheitskämpfern mit aller Macht entgegen. Vor allem die beiden deutschen Diktaturen, die nationalsozialistische 1933-45 und die sozialistische in der DDR von 1949-89, unterdrückten alle Freiheiten, die eine Zivil- und Bürgergesellschaft auszeichnen.
Viele Gedenktage in Deutschland rücken die Opfer der Unterdrückung in den Mittelpunkt. Das ist sinnvoll und richtig. Die Botschaft ist klar. “Nie wieder” soll geschehen, was einst schlimmstes Leid verursachte. Sinnvoll und richtig scheint aber auch, all jene zu ehren, die für Freiheit und Demokratie kämpfen. Der 18. März wäre als Gedenktag dafür bestens geeignet.
Der Autor ist Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing.
Hinweis:
Vorliegender Text ist als Gastkommentar für die Sendung “Zum Sonntag” von Radio Bayern 2 erschienen.
Sendetermin: 18. März 2023 / 17.55 Uhr. Unter diesem Link können Sie diese Ausgabe der Sendung nachhören.
Bild: Pfr. UdoHahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing (Foto: Haist/eat archiv)