Energiekrise und Strommarkt unter der Lupe

Wie kommen wir angesichts der Energiekrise durch den Winter? Wie funktioniert eigentlich der deutsche Strommarkt und sind die Sorgen vor einem Strom-Blackout in Europa berechtigt? Die Folge der ZDF-“Anstalt” vom 4. Oktober kombinierte Bildungsprogramm mit feinster Satire. In unserer Online-Veranstaltung  am 20. Oktober griffen wir die Themen der Sendung auf und sprachen darüber mit dem Energie- und Wirtschaftswissenschaftler Uwe Leprich und Sendungsautor Dietrich Krauß.

 

Es ist eines der Themen, das die Menschen in Deutschland gerade am meisten beschäftigt: Wie kommen wir angesichts der Energiekrise und den horrenden Preisentwicklungen durch den Winter? Und wie wahrscheinlich ist es, dass es zu einem unkontrollierten Stromausfall kommt? Dr. Dietrich Krauß, der zum Autorenteam der ZDF-Satiresendung “Die Anstalt” gehört, ist der Ansicht, dass das “Allgemeinwissen um den Strommarkt in Deutschland eher dünn gesät” ist. In Kombination mit der aktuellen Krise auf dem Energie- und Strommarkt setzte er für die neueste Folge mit seinem Team beim Bildungsprogramm-Charakter der “Anstalt” an (hier ansehen).

In unserem regelmäßigen Veranstaltungsformat “Die Anstalt – politische Satire im Schloss” sprach Dietrich Krauß im Interview mit Akademiedirektor Udo Hahn und online zugeschalteten Gästen über das Thema (mehr zur Veranstaltung). Außerdem war passend zum Thema ein Experte eingeladen: Prof. Dr. Uwe Leprich, Professor für Volkswirtschaftslehre/-politik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes in Saarbrücken. Seine Denomination wurde 2020 in “Ökonomische und wirtschaftspolitische Nachhaltigkeitsstrategien” geändert. Seit mehr als 30 Jahren ist Uwe Leprich gutachterlich tätig, unter anderem für das Bundesumwelt- und das Bundeswirtschaftsministerium, für zahlreiche Landesministerien, Kommunen, Unternehmen und Verbände. Seine Spezialgebiete sind Liberalisierungsanforderungen der Energiesektoren, Instrumente nationaler und internationaler Energie- und Klimaschutzpolitik sowie Dienstleistungsansätze für Akteure in liberalisierten Energiemärkten.

Im Online-Gespräch ging es zunächst um die Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz, die drei verbleibenden Atomkraftwerke in Deutschland bis zum April 2023 weiter zu betreiben – und ihre Laufzeit entgegen des beschlossenen Ausstiegs über den 31. Dezember 2022 hinaus zu verlängern. Uwe Leprich hält diese Entscheidung aus energiewirtschaftlicher Sicht für “marginal” – der Versorgungssicherheit würde diese Entscheidung weniger dienen. Aus ökonomischer Perspektive sei “Atomenergie tot”. Leprich findet es darüber hinaus “ärgerlich, dass da so breit drüber diskutiert wurde”. Warum die Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke so lange diskutiert wurde, erklärt er mit einem “identitätsstiftenden Moment” für FDP und Grüne. Dietrich Krauß stimmte seinem Gesprächspartner hier zu: Beide Parteien hätten sich “entlang der alten Fronten profilieren” wollen. Er hätte sich gewünscht, dass man klärt, wie man angesichts der Energiekrise – und auch in Zukunft – ältere Häuser beheizen sollte.

Für Uwe Leprich sind die stetig wachsenden Energiepreise und die Energieversorgung momentan das zentrale Thema. Sollte es bei dem aktuellen Energiepreisniveau bleiben, befürchtet er nicht nur soziale Verwerfungen, sondern auch vor allem drastische Folgen für Industrie und Gewerbe. Er ist sicher: “Das aktuelle Preisniveau wird der Mittelstand nicht lange überleben.” Nicht der Strom sei hier das Problem, sondern die Wärmeenergie. In der Industrie betreffe das gerade den Bereich der Prozesswärme, vor allem in metallverarbeitenden Branchen oder aber auch im Bereich Keramik oder Porzellan. Hier sei man auf Gas angewiesen.

Leprich äußerte im Gespräch die Vermutung, dass die Bundesregierung spätestens im Frühjahr Druck zu spüren bekommen werde. Um zu einem “vernünftigen Preisniveau” zurückzukommen, sei eine Versorgung via Gaspipelines unerlässlich.

Dietrich Krauß wies im Gespräch außerdem darauf hin, dass es wichtig sei, das Energiepreisproblem vom Strompreisproblem zu trennen. Gas spiele vor allem beim Energiepreis die weitaus größere Rolle. In der “Anstalt”-Folge vom 4. Oktober 2022 hatten Krauß und sein Team das Prinzip der “Merit-Order” erklärt. Es definiert die Einsatzreihenfolge der stromproduzierenden Kraftwerke auf einem Stromhandelsplatz, um die wirtschaftlich optimale Stromversorgung zu gewährleisten. Dieses System ist an die Börse gekoppelt: Grob formuliert setzt also dort der teuerste Strom den Preis für alle. Denn: An den Strombörsen gibt es einen Einheitspreis – der eben durch den Preisbildungsmechanismus der Merit-Order bestimmt wird. Seit dem Beginn der 1990er Jahre habe sich das Prinzip an den Strompreisbörsen durchgesetzt. Krauß erwähnte auch Nachteile: Etwa, dass darin keine Finanzierung für neue Investitionen wie zum Beispiel den Neubau neuer Anlagen vorgesehen sei.

Auch das Thema Ökostrom kam in der Debatte zur Sprache – wie auch in der Sendung vom 4. Oktober.  Sowohl Leprich als auch Krauß sehen hier Greenwashing. Für Leprich ist klar: “Ökostrom trägt nichts zum Klimaschutz bei.” Verbraucherinnen und Verbraucher könnten zu einem Ökostromanbieter wechseln, dafür gebe es gute Gründe, nur: Klimaschutz gehöre nicht dazu.

“Anstalt”-Autor Krauß kritisierte die Bundesregierung dafür, dass die Maßnahmen für den kommenden Winter nicht den Wohlstandsverlust in Deutschland ausgleichen werden und dass auch Verteilungsfragen noch viel zu wenig adressiert werden. Wenn eine staatliche Subventionierung privater Haushalte am jeweiligen Vorjahresverbrauch bemessen werden, kämen diejenigen besser weg, die schon vorher viel verbraucht haben – etwa, weil sie private Schwimmbäder oder große Wohnräume beheizen und sich das auch schon vorher leisten konnten. Viel sinnvoller sei es dagegen, gemessen am Energie-Grundbedürfnis, pro Person zu subventionieren. Jedoch: Effizienzstudien wie diese gebe es nicht, ergänzte der Energie- und Wirtschaftswissenschaftler Leprich. Es sei in den vergangenen Jahren von der Regierung verschlafen worden, entsprechende Instrumentarien zu entwickeln – ganz im Gegensatz zu anderen Ländern. Fünfzig Prozent aller deutschen Haushalte heizen mit Gas. Für Leprich ist das “die Quittung der verpassten Effizienzpolitik der letzten 10 bis15 Jahre.” Von den Sparappellen der Regierung hält er nicht viel.

Unter der Moderation von Akademiedirektor Udo Hahn und unter Einbeziehung der Chatfragen der zugeschalteten Gäste ging es auch noch um viele weitere Themen: etwa die Energiewende und Alternativen zur Stromerzeugung, Klimaschutz, die Energiepolitik hinsichtlich des Krieges in der Ukraine, allgemeines Wachstum und Verteilungsfragen.

Auf dem YouTube-Kanal der Evangelischen Akademie Tutzing können Sie die Online-Debatte vom 20. Oktober noch einmal ansehen.

Zur “Anstalt”-Folge vom 4. Oktober 2022 geht es hier, den Faktencheck zur Sendung können Sie dort ebenfalls abrufen.

Dorothea Grass

Foto: Udo Hahn, Uwe Leprich, Dietrich Krauß während der Online-Debatte “Die Anstalt – Politische Satire im Schloss” vom 20. Oktober 2022 (Screenshot)

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