Tagungsbericht “Sozialunternehmen – Wirtschaften für den Menschen”
Unternehmen sind weder Selbstzweck noch Profitmaschine, sie sollten auch ein gutes Leben für alle ermöglichen. Eigentlich. Sozialunternehmen und Social Entrepreneurs machen und schaffen das bereits, fristen jedoch verglichen mit der gesamten Volkswirtschaft ein Schattendasein. Die Auftakttagung des Programmjahres 2022/23, die gemeinsam mit dem Oikocredit Förderkreis Bayern e.V. organisiert wurde, wollte Sozialunternehmen und Social Entrepreneurs verstehen und mehr Geltung verschaffen: Mit welchen Hürden und Problemen sind sie konfrontiert? Und was muss sich ändern, damit sozial-ökologische Innovationen gesamtgesellschaftlich realisiert werden können?
Zum Einstieg in die Thematik umriss Prof. Dr. Marcus Wiens von der TU Freiberg die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Innovationen im Allgemeinen und sozial-ökologische Innovationen im Besonderen. Innovationen haben eine quasiautomatische Signal- und Anreizwirkung – sie lenken Investitionen, Produktion- und Kaufentscheidungen. Als erfolgreiche soziale Innovationen verstand Wiens jene, “die Fuß fassen und breiten Einfluss haben”. Dafür profitieren diese sozial orientierten Unternehmungen auch von klassischen Massenproduktionen ohne sozial-ökologischen Anspruch, um zum Beispiel bezahlbare digitale Büroausstattungen zu bekommen. Prof. Wiens startete den Reigen der Annäherungen an eine mögliche Definition von sozialen Innovationen: Ein wichtiges Merkmal sei, dass diese Bedürfnisse bedienen, die der Markt nicht erfüllt (“blinder Fleck des Marktes”): So zeigen beispielsweise einige Sozialunternehmen, dass sie den Bedarf nach möglichst kostengünstiger Ernährung für Obdachlose erkannt haben und von privaten wie öffentlichen Akteuren nicht benötigte Lebensmittel sammeln. Diese Geschäftsidee wurde von anderen Unternehmen mit Gewinnmaximierungsanspruch nicht verfolgt.
“Reine Diskurse können soziale Innovationen”
Wiens spannte den Bogen noch weiter: Wie können sozial-ökologische Innovationen multipliziert werden? Soziale Innovationen wirken als Ergänzungen zur konventionellen Wirtschaftsweise. Es bestehe aber auch die Gefahr, dass diese von klassischen Unternehmen „vereinnahmt“ und zu Marketingzwecken missbraucht würden. Dass sich Sozialunternehmen vernetzen und voneinander lernen, sei deshalb entscheidend. Netzwerke und Austausch seien wichtige Wege, um ein gelungenes Beispiel zu skalieren: “Reine Diskurses können soziale Innovationen sein”, formulierte es Prof. Wiens. Ein weiterer Weg zur Skalierung seien Patente. Sie würden in vielen Fällen oft zu einem gegenteiligen, ungewünschten Effekt führen, etwa wenn wichtige Innovationen nur vom Patentinhaber umgesetzt werden können, alle anderen Akteure jedoch davon ausgeschlossen seien. Bei der Produktion von Impfstoffen wurde das auf erschreckende Weise deutlich. Das können Sozialunternehmen aber auch anders machen, wenn sie ein Patent anmelden. So haben sie eine abgesicherte Möglichkeit, um mit ihrer Idee die Gesellschaft positiv zu prägen. Patente haben so eine doppelte Funktion: einerseits die Idee hinter neuen unternehmerischen Wegen zu schützen, andererseits diese aber auch in die Breite zu tragen.
Der Unternehmergeist von Nerds, Hippies, Hustlern und Hipstern
Dazu braucht es auch bestimmte Charaktere: Kristina Notz, Executive Director und Vorstand der Social Entrepreneurship Akademie, ging besonders auf die Persönlichkeiten ein, die Sozialunternehmen leiten und somit zentrale Akteure sind. Notz zeigte sich überzeugt, dass Social Entrepreneure oft vier Typen in sich vereinen: den technologieaffinen Nerd, den impactorientierten Hippie, den businesskennenden Hustler und den menschlichen Hipster. Aus dieser Mischung von Charakterzügen ergebe sich, so Notz, eine Person mit Haltung, Kreativität, Resilienz, Selbstreflexion, Problemlösungskompetenz, die “21st Century Skills”, wie Kristina Notz es fasste. Sie nannte in diesem Zusammenhang als Beispiel den Arzt Frank Hoffmann. Er erkannte das Potenzial blinder Frauen als Tastuntersucherinnen bei Brustkrebs und verschaffte ihnen in seinem Sozialunternehmen “discovering hands” Arbeit und Einkommen.
Im Gemeinwohl steckt auch mein Wohl mit drin
Doch intrinsische Motivation und “Hands-On”-Mentalität schützen selbst Social Entrepreneurs nicht vor Schwierigkeiten. Ab Gründung ihres Unternehmens spielen besonders Finanzierungsprobleme in einem bestimmten Entwicklungsabschnitt eine große Rolle. Notz brachte den Mythos “Heropreneur“ und die Schattenseite zur Sprache: Viele Social Entrepreneure wiesen Symptome wie Reizbarkeit, Schlaf- und Angststörungen auf: Mit der öffentlichen Belobigung käme die gesellschaftliche Erwartungshaltung zusätzlich zum selbstgemachten Druck. Sie appellierte eindringlich, Social Entrepreneure nicht als “heros” zu bezeichnen.
Neben den Social Entrepreneurs als Personen sind auch das Arbeitsumfeld und dessen Struktur von entscheidender Bedeutung für den Erfolg eines Sozialunternehmens. Für den Wahrnehmungscoach und Kulturwandelbegleiter Michael Reinhardt geht es darum, immer individuell angepasste Lösungen zu finden, um im Einklang mit den angestrebten Werten zu arbeiten. Reinhardt begleitet seit mehreren Jahren Unternehmen in ihren Wandlungsprozessen. So sei es etwa bei der Frage, wie stark die hierarchischen Strukturen eines Sozialunternehmens ausgeprägt sein sollten, unerlässlich, sich mit den Mitarbeitenden aufmerksam auszutauschen. In seiner Arbeit bedient sich Reinhard Werkzeugen aus dem strategischen Management. Konkret nutzt Reinhardt das “Business Model Canvas”, das in einem Diagramm viele veränderte Dimensionen eines Unternehmens veranschaulicht.
“Wir sind die, auf die wir gewartet haben”
Über die Tagung hinweg wurde bei Fish-Bowl-Diskussionen und in persönlichen Gesprächen immer auch nach Lösungsansätzen gesucht, damit sozial-ökologische Innovationen gelingen. Ausführlich wurde die Initiative der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) Bewegung diskutiert. Mit Markus Hölzl war ein wichtiger Akteur für den bayerischen Raum und darüber hinaus dabei. Er zeigte sich überzeugt, dass die bayerische Wirtschaft der Verfassung gemäß am Gemeinwohl orientiert sein müsse. Dies ist jedoch nicht der Regelfall. Die GWÖ ermögliche es Unternehmen deshalb, sich zu “testen”. Ähnlich wie das Umweltzertifikat der EU (EMAS) analysiert die Bewegung Unternehmen anhand einer Gemeinwohlmatrix, welche verschiedene Faktoren wie Berührungsgruppen (z.B. Lieferanten und Mitarbeiter) oder die Werte (z.B. Menschenwürde, ökologische Gerechtigkeit) berücksichtigt. Hölzl sieht in der GWÖ insbesondere durch den sogenannten “360-Grad-Blick” einen Vorteil gegenüber anderen Zertifikaten. Unternehmen bekommen von der GWÖ nach der Prüfung ihr Testat in Form eines Punktesystems mit “null”, wenn sie nur gesetzliche Vorschriften einhalten. Mit einem hohen Rating können die Unternehmen werben, was für sie zugleich Anreiz ist, sich immer mehr am Gemeinwohl zu orientieren.
Starke Frauen als “change agents”
Dr. Nadja Jacubowski von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) und Eva Bahner von der Genossenschaft Oikocredit stellten anschließend erfolgreiche Projekte und Initiativen im Globalen Süden vor. Eine wichtige Rolle spiele das Empowerment von Frauen. Jacubowski zeigte, wie speziell durch Entwicklungsarbeit der GIZ Frauen in Indien ermächtigt werden, gerade in Form wirtschaftlicher Teilhabe. Eva Bahner verdeutlichte die Bedeutung von Finanzhilfen, wie sie Oikocredit ermöglicht. Auf diesem Wege können etwa Investitionen im globalen Süden langfristig Mehrwerte generieren. Es handelt sich dabei oft um gar nicht so einfach zu realisierende aber essenzielle Projekte wie zum Beispiel den Bau von Frauentoiletten, der Frauen manchen Orten täglich durchaus zwei bis drei Stunden Fußmarsch und die alltägliche Gefahr sexueller Übergriffe ersparen kann. Die Rolle der Männer wird in Projekten jüngst immer mitgedacht, damit die erzielten Erfolge der Entwicklungsarbeit nicht im häuslichen Umfeld zunichte gemacht werden. Durch positive Erfolgsbeispiele, die in Form von sog “Graphic Novel” in die Gesellschaft getragen werden, zeigt sich laut Dr. Jacubowski tatsächliche Veränderung: Ein Einstellungswandel durch Film – und Medienproduktion sei spürbar, traditionelle Normen und Geschlechterstereotypen änderten sich.
Bessere Rahmenbedingungen für Social Entrepreneurs und Soziale Innovationen
Für einen interaktiven Abend mit digitalen Mentimeter-Umfragen und praktischen Stellwänden für Diskussionen sorgten Cornelius Heisse und Martin Reimann vom Netzwerk Ashoka Fellows. In diese Community werden nur Social Entrepreneure aufgenommen, die mit ihren Ideen direkt die Ursachen von gesellschaftlichen Problemen angehen und nicht nur die Symptome, bekämpften. Den aktuell 85 Ashoka Fellows in Deutschland werden Finanzierungsmöglichkeiten vermittelt und neue Kooperationsformen ermöglicht und ein Zugang zur Politik geschaffen. Letzterer ist gerade für kleinere Unternehmen von großem Wert. Oft stehen sie Lobbyisten aus Unternehmen mit größeren Kapazitäten und Möglichkeiten gegenüber und brauchen Unterstützung.
Ein markantes Beispiel für kreatives, wirksames Unternehmertum aus dem Ashoka Netzwerk ist das nicht gewinnorientierte Unternehmen ColaLife. Dieses nutzt die Logistik und die Distributionsmöglichkeiten von Coca Cola, um Medikamente in abgelegene Gegenden zu bringen, in die sie sonst nicht gelangen würden.
Zum Abschluss der Tagung diskutierten Katja Hessel, Parlamentarische Staatsekretärin beim Bundesministerium der Finanzen, Klara Bosch, Fridays for Future-Aktivistin und zivilgesellschaftliche Vertreterin im Klimarat München sowie Karsten Löffler, bis vor kurzem Vorsitzender des Sustainable Finance Beirats der Bundesregierung. Sie stellten sich der Leitfrage, inwiefern die Anfang des Jahres intensiv diskutierte EU-Taxonomie das Potenzial zu wirklicher Veränderung habe.
Private Akteure als Treiber der Transformation?
Karsten Löffler stellte zu Beginn der Diskussion fest, dass eine Taxonomie das Hauptziel der Transparenz habe: Den Investoren könne die EU-Taxonomie genau aufzeigen, ob Aktivitäten von Unternehmen nachhaltig sind. Das große Potenzial besteht darin, privates Kapital in sozial-ökologische Zwecke zu lenken. Klara Bosch zeigte sich jedoch enttäuscht, dass die EU eine wichtige Gelegenheit verpasst habe, indem Investitionen in Gas- und Atomkraft als nachhaltig eingestuft worden seien.
Einigkeit bestand darüber, dass in Deutschland das Ende der Atomkraft eingeleitet werden sollte. Die Situation hinsichtlich Gasenergie sei schwieriger. Zwar ist sei Gas nicht umweltfreundlich jedoch für die Versorgungssicherheit von Relevanz, räumte Klara Bosch ein. Da Versorgungssicherheit aber nicht in der Taxonomie enthalten ist, fordert Katja Hessel eine Erweiterung um diesen Faktor angesichts der absehbaren Energieengpässe. Sie sieht auch die soziale Komponente bisher vernachlässigt und wünscht sich deshalb einen Vorschlag der EU-Kommission, auf den die Bundesregierung schon Monate warte. Karsten Löffler befürwortet beides, verweist jedoch darauf, dass es die Pflicht der Bundesregierung sei, in diesem Bereich Druck auf die EU auszuüben. Seiner Wahrnehmung nach warten die Bundesregierung und die EU-Kommission geradezu aufeinander, obwohl beide den jeweils ersten Schritt machen könnten. In Bezug auf Gas sieht Löffler vor allem ein Problem darin, dass sich Gasunternehmen durch Lobbyismus mehrere Ausnahmen offenhalten konnten, während die Geothermie (beispielsweise in Bayern) dieses Privileg nicht habe.
In ihren Schlussworten brachten es Katja Hessel, Klara Bosch und Karsten Löffler auf den Punkt: Privates Kapital sei Dreh- und Angelpunkt, um Investitionen in wirkliche sozial-ökologische Projekte zu lenken und so Veränderungen herbeizuführen. Als Indikator für Nachhaltigkeit hat die EU-Taxonomie enormes Potenzial, jedoch benötigt sie Überarbeitungen. Das Potenzial der Taxonomie ist noch lange nicht ausgeschöpft.
Zusammenfassung
In der Tagung wurde deutlich, wie schwer Social Entrepreneure definierbar sind. Klar ist, es geht ihnen nicht um die Maximierung von persönlichen Gewinnen. Sie brauchen Unterstützung durch Netzwerke und Finanzierung. Dies kann in sozialen Innovationszentren und einen besseren Zugang zu steuergeförderten sowie direkten Staatsaufträgen, denen gemeinnützige – auch durch Spenden finanzierte Unternehmungen – nicht zugänglich sind. Wie im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung festgehalten, sollten die Innovationsförderung des Bundes für soziale und ökologische Investitionen konsequent geöffnet werden und die “soziale Taxonomie” als gesamtgesellschaftliches Regelwerk zur Förderung sozialer Investitionszwecke weiter vorangetrieben werden.
Insgesamt wurde eine stärkere Rolle des Staates, die Stärkung von NGOs und schließlich eine Rückbesinnung auf Geld als Maßstab für den tatsächlichen Wert eines Gutes oder einer Dienstleistung, gefordert.
Dr. Martin Waßink (Mitarbeit: Michael Götzer)
Das komplette Programm der Tagung können Sie hier nachlesen.
Weitere Leseempfehlungen:
- Blog-Artikel zur EU-Taxonomie von Karsten Löffler hier nachlesen
- Website der EU Platform on Sustainable Finance mit Empfehlungen hier abrufen
- Taxonomie-Regulierung und Links zu den delegierten Rechtsakten hier lesen
Bild: Tagungsimpression aus der Rotunde (Foto: Götzer/eat archiv)