Friedensinformatik und kybernetische Krieger
Cyberwar und Cybersecurity sind seit dem Krieg in der Ukraine wieder verstärkt in den Fokus gerückt. Wie können speziell Informatiker:innen mit ihrer Expertise Frieden schaffen? Damit beschäftigt sich der Friedensinformatiker und Philosoph Stefan Ullrich, zuständig für KI-Entwicklung bei der Bundesregierung sowie stellvertretender Sprecher der Fachgruppe “Informatik und Ethik” der deutschen Gesellschaft für Informatik. Auch die Politikwerkstatt im Jungen Forum der Akademie nimmt sich – neben anderen aktuellen Spotlights – des Themas an. Vorab hat das Tagungsteam ihm ein paar Fragen dazu gestellt.
Alexander Müller und Julia Wunderlich: Der Titel Ihres Vortrags lautet “Make install peace. Friedensinformatik und kybernetische Krieger” in der Politikwerkstatt. Was erwartet das junge Publikum?
Dr. Stefan Ullrich: “Make install” ist auf modernen Betriebssystemen ein Computerbefehl zur Installation eines Programms. Wäre es nicht schön, wir könnten Frieden einfach so mit dem Befehl “make install peace” weltweit installieren? Vernetzte Computersysteme besitzen große Potenziale für Demokratie und Frieden, vom universellen Zugang zum Wissen der Menschheit per Knopfdruck bis hin zu virtuellen Familientreffen mit Oma und Opa am anderen Ende der Welt. Die Geschichte der Computersysteme beginnt im Militär und bis heute kommt von dort auch das meiste Geld für die Forschung. Welchen Weg die Informatik nimmt, hängt von uns ab. Darüber würde ich gern mit dem jungen Publikum diskutieren.
Wie schätzen Sie unsere aktuelle Lage von Cyberwar und Cybersecurity ein?
Die Debatte ist von großem technischen Unverständnis geprägt. Als ob es “gute Bits” und “böse Bits” geben würde, befeuern Sicherheitsbehörden einen kriminellen Markt der so genannten Zero Days, das sind technische Sicherheitslücken, die den “Guten” eine Möglichkeit bieten sollen, in den geheimen Systemen der “Bösen” illegale Machenschaften entdecken und ahnden zu können. Wenn diese Sicherheitslücken jedoch nicht geschlossen werden, können auch die “Bösen” in die betroffenen Systeme der “Guten” eindringen. Sicherheitslücken gehören geschlossen, Punkt. Leider wird zu wenig Zeit, Personal und Geld in die Absicherung von IT-Systemen investiert, krasses Fehlversagen wird einfach zum “Cyberangriff” umdefiniert. Dabei sind wir heute so abhängig von der uns umgebenden Technik, dass ein solcher Cyberangriff nicht rein virtuell ist, sondern eine Gefahr für Leib und Leben darstellt. Spätestens wenn diese IT-Systeme in der Luft herumfliegen und womöglich noch bewaffnet sind, sollte uns klar sein, dass Bits tatsächlich töten können.
Was können Informatiker:innen für Frieden tun und was Ihr Verständnis von Frieden?
Das Ziel der friedensbewegten Informatiker:innen ist nichts weniger als Weltfrieden. Dieser Wunsch klingt so phantastisch und utopisch, weil die Vorstellung einer friedlichen Welt für viele Menschen in ungreifbarer Ferne steht. Umso dringlicher stellt sich die Frage, wie ausgehend vom Hier und Jetzt der Weg hin zu einer friedlichen Welt gestaltet und gegangen werden kann. Welche Maßnahmen befördern dabei kurz-, mittel- und langfristig friedliche Gesellschaften?
Als Mitglied des Forums kritischer Informatiker:innen, das den Begriff “Frieden” seit 1984 stolz im Namen trägt, verstehe ich Frieden nicht lediglich als die Abwesenheit von Krieg und als bloßes Fehlen offener Gewalt. Der Leitbegriff von uns Informatiker:innen im Forum ist der positive Frieden. Bei diesem wirken gerechte Institutionen, eine faire Verteilung von Ressourcen und eine respektvolle Haltung zwischen Menschen und auch Gruppen zusammen. Er ist die Basis dauerhaft friedlicher Gesellschaften, die tatsächlich menschlichen Fortschritt mit sich bringen. Friedensarbeit ist dabei immer langfristig wirksam. Unser Ziel ist ein pluralistisches, ausdifferenziertes Zusammenleben, das auf die Bedürfnisse der Menschen eingeht, um ein zufriedenes, selbstbestimmtes und komfortables Leben aller zu ermöglichen.
Die Frage ist: Was kann der oder die Einzelne tun?
Dieser Einwand kommt seit Jahrzehnten, wahrscheinlich aus Angst, dass die Macht der technisch Handelnden plötzlich nicht länger für die planetare Ausbeutung, sondern für das Gemeinwohl genutzt wird. Der ethische Kompass der Gesellschaft für Informatik und die Forderungen der Bits & Bäume-Community sind gute Leitlinien für technisch Handelnde, besonders die der jungen Generation. Vielleicht auf einen Satz gebracht: Handle so, als ob deine Handlung etwas in der Welt bewirkt!
Interview: Julia Wunderlich, Studienleiterin Jugendpolitik & Jugendbildung (Junges Forum), Evangelische Akademie Tutzing und Kooperationspartner Alexander Müller, Referatsleiter Lernorte – Europa und Internationale Politik, Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit
Zur Person:
Dr. Stefan Ullrich ist Informatiker und Philosoph. Zurzeit ist er mit dem Aufbau der “KI-Ideenwerkstatt für den Umweltschutz” beschäftigt, die von der Zukunft – Umwelt – Gesellschaft gGmbH im Auftrag des Bundesumweltministeriums umgesetzt wird. Zuvor leitete er die Forschungsgruppe “Verantwortung und das Internet der Dinge” am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft. Ullrich ist zudem stellvertretender Sprecher der Fachgruppe “Informatik und Ethik” der deutschen Gesellschaft für Informatik sowie aktives Mitglied im Forum Informatikerinnen und Informatiker für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung in Berlin. Weitere Informationen hier.
Hinweis:
Dr. Stefan Ullrich ist Referent in der Politikwerkstatt vom 07. bis 09. Oktober 2022 im Jungen Forum der Evangelischen Akademie Tutzing. Die Tagung findet in Kooperation mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit statt. Unter diesem Link finden sich alle Informationen zum Programm und den Anmeldemodalitäten.
Bild: Dr. Stefan Ullrich (Foto: Frl. von Phoen)