Reallabore der Transformation
Der Politikwissenschaftler Klaus Mertens arbeitet für den Betriebsrat eines großen deutschen Automobilzuliefererbetriebs. In diesem Beitrag beschreibt er, warum es hinsichtlich der sozial-ökologischen Transformation dringend mehr Plattformen für interdisziplinären Austausch bedarf. Die Transformation betreffe schließlich nicht nur betriebliche und volkswirtschaftliche Entscheidungen, sondern habe auch weitreichende arbeits- und sozialpolitische sowie industriepolitische Dimensionen. Das habe die Pandemie deutlich gezeigt.
Seit nunmehr zwei Jahren wird Weltgeschehen und Zeitgeist von der Pandemie geprägt. Auch die Akteure der Transformation erleben die Phase der Einschränkungen und Gefährdungen. Gleichzeitig aber schärft diese Zeit den Blick für die Herausforderungen einer sozial-ökologischen Transformation. Ausgangspunkt einer sozial-ökologischen Transformation ist dabei keineswegs ein Virus, sondern die existenzielle Bedrohung der Lebensgrundlagen durch Klimawandel und den “peak everything” in einer endlichen Welt.
Die vermuteten Konsequenzen einer solchen Transformation haben sich in den letzten Monaten pandemiebedingt gut beobachten lassen. Da gab es Lieferengpässe, Nachfrageausfälle und Vertriebsrestriktionen von Produkten und Dienstleistungen. Diese wirtschaftlichen Unpässlichkeiten waren nicht allesamt pandemiebedingt, sondern hingen auch mit Schiffsunglücken im Suezkanal, Bränden oder mit der Hochwasserkatastrophe an der Ahr zusammen. Sie haben aber gezeigt, wie anfällig die globalisierten Lieferketten sind, die ob eines homöopathischen Einsparvolumens lieber in Asien, als vor der Haustür produzieren lassen.
Hinzu kommt der, durchaus klimapolitisch angestoßene, Wandel am automobilen Antriebsstrang hin zu elektrisch getriebenen Fahrzeugen. Dieser Wandel hat parallel zur Pandemie Fahrt aufgenommen, was die Unternehmen der Automobilbranche vor die doppelte Herausforderung stellt, mit der Pandemie und dem technologischen Wandel gleichermaßen umzugehen. Dass dies zumindest den Autoherstellern ganz gut gelungen zu sein scheint, zeigt ein Blick in die Bilanzen des Jahres 2021. Die Automobilzulieferer stehen da anders da, weil ihr traditionell margenschwaches Geschäft nur unter Volllast wirklich profitabel ist. Die letzten Monate haben dieses Geschäftsmodell allerdings auf den Prüfstand gehievt, denn hohe Stückzahlen stehen in zweierlei Hinsicht zur Disposition. Zum einen könnte eine wohlverstandene Mobilitätswende mit deutlich weniger automobilem Individualverkehr auskommen, was angesichts einer zunehmenden Anzahl von Menschen, die in Megacities leben auch ohne Sozialökologie verständlich wäre. Zum anderen wird es wohl zu einer Relokalisierung globalisierter Lieferketten kommen und in Asia-Pacific für Asia-Pacific, in den Amerikas für Amerika und eben in Europa für Europa produziert. Das stellt nicht nur einzelne Unternehmen, sondern ganze Volkswirtschaften, die auf Export und Globalisierung gesetzt haben, vor große Herausforderungen, für deren Bewältigung es bislang keinen breiten Diskurs gibt, der das zumindest schonmal problematisiert.
Es braucht eine Innovationsstrategie
Wir müssen über den arbeits- und beschäftigungspolitischen Kern der Mobilitätswende sprechen, die mehr sein muss als die Elektrifizierung des Antriebsstrangs. Wenn dem so ist, wird eine Innovationsstrategie gebraucht, die diese Mobilitätswende auf technologischer Ebene beschreibt. Da geht es um mehr als nur ein Bild mit mehr öffentlichem Personen-Nahverkehr, ganz viel Radfahren und Zufußgehen und Null-Inlandsflüge zu skizzieren. Sondern es geht um das Design und die Dimensionierung von innerstädtischen Bussen und Bahnen, die einer höheren Taktung und kleinteiliger Streckenführung gerecht werden. Da geht es um Produktentwicklung an der Schnittstelle von Stadt- und Wohnungsbau einerseits und Mobilitäten andererseits. Es wird zu beobachten sein, was aus Anne Hidalgos Projekt, Paris zur “Stadt der Viertelstunde” zu machen auch technologisch an Neuem entsteht. Und dann gilt es, diese Produkte zu designen und zu produzieren. Und noch mehr: Die Produktionswelt verändert sich gerade massiv durch große Automatisierungs- und Digitalisierungsschritte. Wie wird sich die Konsumwelt in Richtung Nachhaltigkeit verändern lassen?
Wieviel Beschäftigung beispielsweise aus den Produkten für eine nachhaltige Mobilität generiert werden kann, lässt sich nicht genau beziffern, aber dass es weniger Beschäftigung als in der heutigen Automobilindustrie sein wird, liegt auf der Hand. Ariane Reinhardt, Personalchefin von Continental, geht davon aus, dass die Automobilindustrie nie wieder so viele Autos wie 2018 produzieren wird, damals waren es 80 Millionen. Sie bereitet sich auf einen entsprechenden Beschäftigungsabbau vor und ist Teil der Initiative “Allianz der Chancen”. Dazu führt Reinhardt aus: “Gemeinsame Herausforderungen brauchen gemeinsame Lösungen. Es gilt, den Wandel als Chance zu nutzen und ihn nachhaltig und vor allem auch sozialverträglich zu gestalten. Schließlich geht es nicht nur um die Zukunft des Industriestandortes Deutschland, sondern auch um den sozialen Frieden.” Damit liegen die industrie- und beschäftigungspolitischen Herausforderungen auf dem Tisch und es bedarf einer gesellschaftlichen Anstrengung diese Transformation eben nicht nur technisch abzuwickeln, sondern auch für eine Diskussion um ein gutes, nachhaltiges Leben zu nutzen, die alle Bevölkerungsgruppen einbezieht, mitnimmt und im besten Fall sogar dafür begeistert.
Regionale und nationale Transformationsbeiräte
Ein zentraler Kern guten, nachhaltigen Lebens wird wohl Arbeit bleiben. Aus Effizienzgründen wird es wohl auch weiterhin industrielle Herstellprozesse geben. Allerdings sollten andere Tätigkeitsfelder, vor allem im Pflegebereich, (auch monetär) aufgewertet und damit insgesamt die Bilder von Arbeit diverser gemacht werden. So ist etwa neben der Forderung nach höheren Löhnen auch die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen bereits in vollem Gange.
Zusammenfassend zeigen die pandemiegeschuldeten Reallabore der letzten zwei Jahre, dass eine sozial-ökologische Transformation eine betriebliche, wie eine volkswirtschaftliche Dimension hat genauso wie eine arbeits- und sozialpolitische bzw. industriepolitische Dimension. Diese Dimensionen zusammenzudenken und in einem Zukunftsentwurf zusammenzuführen kann nur dann gelingen, wenn die Akteure dieser Dimensionen, oder neudeutsch Blasen, miteinander wieder ins Gespräch kommen. Regionale und nationale Transformationsbeiräte, die in der Ausgestaltung ganzheitlicher regionaler Entwicklungskonzepte eine konkrete Aufgabe haben, wären hier geeignete Plattformen. Diese Instrumente, die sich etwa im Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen in den 1990-er Jahren durchaus bewährt haben, sind nur leider nicht en vogue, auch wenn sie von den Gewerkschaften immer wieder gefordert werden. Derzeit ist aber eine flächendeckende Institutionalisierung solche Beiräte nicht in Sicht. So bleibt der zivilgesellschaftliche Diskurs in den Tagungshäusern und Akademien von Gewerkschaften, Kirchen, Naturschutzverbänden und den parteinahen Stiftungen. Der fromme Wunsch zum Schluss wäre, dass sich wenigstens dort die Blasen mischen, wenigstens ein bisschen.
Über den Autor:
Klaus Mertens ist Politikwissenschaftler. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Betriebsrats der ZF Friedrichshafen AG in Schweinfurt und ist auch für den Europäischen Betriebsrat tätig. Er engagiert sich bei den “Transformateuren”, arbeitet im Gesprächskreis Zukunft, Auto, Umwelt, Mobilität (ZAUM) der Rosa-Luxemburg-Stiftung und bloggt zu Fragen der Transformation unter “Das Richtige im Falschen”.
Hinweis:
Klaus Mertens wird auf der Tutzinger Tansformationstagung über Transformationsnetzwerke in Betrieben und Regionen sprechen. Die Veranstaltung findet unter dem Titel “Nachhaltig – Gerecht – Umsteuern” vom 17.-18. Februar 2022 online statt. Alle Informationen zum Programmablauf und die Möglichkeit sich anzumelden, finden Sie hier.
Dieser Beitrag ist zugleich die Gastkolumne im Februar-Newsletter der Evangelischen Akademie Tutzing. Mehr dazu hier.
Bild: Klaus Mertens zu Gast an der Evangelischen Akademie Tutzing, hier während des Kolloqiums “Alles bleibt anders” im September 2020 (Foto: dgr/eat archiv)