Zu wenig Transparenz
Korruptionsfälle und Lobbyverfehlungen bringen es immer wieder an den Tag: Deutschland hat ein Transparenzproblem. Positiv bewerten Anna-Maija Mertens, Geschäftsführerin von Transparency International, und Dietrich Krauß, einer der Autoren der ZDF-Sendung „Die Anstalt“, dass der Gesetzgeber mit dem beschlossenen Lobbyregister endlich gehandelt hat. Im Online-Gespräch mit Akademiedirektor Udo Hahn wird aber auch deutlich, dass die neuen Regelungen nicht weit genug gehen.
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Mit den aktuellen Korruptionsfällen wie etwa dem Maskenskandal und der “Aserbaidschan-Connection” bietet Deutschland ein “erschreckendes Beispiel” für den Vertrauensverlust der Menschen in die Politik. Diese Auffassung vertrat die Geschäftsführerin von Transparency International Deutschland e.V., Dr. Anna-Maija Mertens, in einer Online-Veranstaltung der Evangelischen Akademie Tutzing am 10. Mai. Anlass war die ZDF-Satiresendung “Die Anstalt” vom 4. Mai, in der es um Korruptionsfälle und Lobbyverfehlungen ging, bei denen Abgeordnete der CDU/CSU im Mittelpunkt stehen.
Der Vertrauensverlust ist nach Einschätzung der Politikwissenschaftlerin deshalb so groß, weil nur etwa ein Drittel der Bundestagsabgeordneten Nebentätigkeiten ausübten. In den bekannt gewordenen Fällen sieht sie nur die Spitze des Eisbergs, die Dunkelziffer sei größer und betreffe nicht nur die Union. Der von dem deutschen Juristen Dr. Peter Eigen 1993 gegründete Verein Transparency International hat sich zum Ziel gesetzt, Transparenz bei Aufträgen und Zahlungsflüssen zwischen Unternehmen und Staaten herzustellen und dadurch Korruption zu verhindern. Weltweit ist die Nichtregierungsorganisation in etwa 110 Ländern aktiv.
Neben Lobbyregister: Forderung nach “exekutivem Fußabdruck”
Beim Maskenskandal steht der Vorwurf im Raum, Abgeordnete der Union haben bei der Maskenbeschaffung durch den Bund Provisionen für ihre Vermittlung eingestrichen. Ob dies strafbar gewesen sei, müssten Gerichte erst noch prüfen, erläuterte der Dr. Dietrich Krauß, einer der “Anstalt”-Autoren. Er sieht im Selbstverständnis der im Fokus stehenden Abgeordneten ein Problem. Die Diäten, die sie erhielten, sicherten die Freiheit ihrer Mandatsausübung, nicht die Nebentätigkeiten.
Mertens wie Krauß erwarten durch die neuen rechtlichen Regelungen eine Selbstreinigung. Beiden gehen die Maßnahmen des Gesetzgebers jedoch nicht weit genug. Mit der Bundestagsentscheidung vom 25. März 2021 existiert erstmals seit 1949 ein verpflichtendes Lobbyregister. Dieses lasse jedoch Ausnahmen zu. So sei etwa die Erfassung der Lobbyarbeit der Kirchen, der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften weiterhin nicht vorgesehen.
Anna-Maija Mertens sprach sich auch für den sogenannten “exekutiven Fußabdruck” aus. Schließlich würden achtzig Prozent der Gesetze in den Ministerien – der Exekutive –entstehen. Mit dem “exekutiven Fußabdruck” ist ein Instrument gemeint, das kenntlich machen soll, wie Gesetzestexte durch das Eingreifen oder die Mitarbeit von Lobbyisten verändert wurden. Damit hätten die Ministerien verpflichtet werden können, den Einfluss von Lobbyisten an Gesetzentwürfen öffentlich zu dokumentieren. Die SPD war dafür, die Union jedoch dagegen. Zwar müssten sich Lobbyisten registrieren lassen, welchen Einfluss sie tatsächlich ausübten, erschließe sich jedoch nicht, so Mertens.
Ausführlich diskutiert wurde auch die “Aserbaidschan-Connection”. Dabei handelt es sich um ein europaweites Netzwerk von Politikern und Lobbyisten, die sich jahrelang für den autokratischen Ölstaat im Südkaukasus eingesetzt haben – mit dem Ziel, ihm ein besseres Image zu geben. Dies ist für Dietrich Krauß schon deshalb ein Skandal, weil der Europarat den Schutz der Menschenrechte als Aufgabe habe. Dass es mit Bestechungsgeldern gelungen sei, Abstimmungen im Europarat zu beeinflussen und Mehrheiten zu ändern, hatte Anna-Maija Mertens in dieser Dimension nicht erwartet. Die juristische Aufarbeitung sei bislang daran gescheitert, dass für den Nachweis der Bestechung Gerichte im konkreten Fall eine schriftliche Vereinbarung verlangt hätten. Diese fehlten jedoch.
Transparenz – eine Frage der Mentalität?
Nach Einschätzung der Politikwissenschaftlerin habe Deutschland im internationalen Vergleich in Sachen Transparenz noch einiges aufzuholen. Sie macht dafür die Mentalität verantwortlich. In skandinavischen Ländern etwa werde in politischen Entscheidungsprozessen von vorneherein auf Transparenz gesetzt, die, wenn, dann im Nachgang eingeschränkt werde. In Deutschland sei es genau andersherum – Öffnungen müssten erkämpft werden.
Auch Dietrich Krauß hält mehr Transparenz für erforderlich. Es sei schon auffällig, dass Wirtschaftsinteressen oft im Vordergrund stünden, die Erhöhung des Mindestlohns aber nur eine kleine Lobby habe.
Mertens und Krauß unterstrichen, dass wirtschaftliche Interessen selbstverständlich legitim seien, aber vor der Entscheidung alle Seiten gehört werden müssten – etwa auch die Zivilgesellschaft. Entscheidungen wären dann nachvollziehbar, wenn dokumentiert werden würde, was diskutiert wurde – und welche Argumente bei Gesetzesvorhaben schließlich den Ausschlag gegeben hätten. Diese Transparenz sei unbedingt anzustreben.
Christian Bergmann
Bild: Udo Hahn, Dr. Anna-Maija Mertens und Dr. Dietrich Krauß in der Online-Debatte zur ZDF “Anstalt” im Mai 2021 (Screenshot)