Jürgen Moltmann zum 95. Geburtstag
Seine “Theologie der Hoffnung” ist bis heute unübertroffen. Seine Mahnung, den Blick für Gottes Möglichkeiten zu schärfen und Verantwortung zu übernehmen, zeitlos aktuell. Akademiedirektor Udo Hahn würdigt Jürgen Moltmann, der 2017 mit dem “Tutzinger Löwen” ausgezeichnet wurde.
“Der Glaube löst nicht die Fragen der Vernunft, sondern stellt der Vernunft Fragen.” Ein Satz, beispielhaft für die Geistesgegenwart des Theologieprofessors Jürgen Moltmann. Wo Theologinnen und Theologen mitunter nach der Dogmatik greifen oder gar stumm bleiben, weiß er den christlichen Glauben ins Gespräch zu bringen. Sich in der Einsamkeit des Elfenbeinturms einzurichten, das war nie seine Sache. Neugierig ist er, der am 8. April 95 Jahre alt wird, bis heute. Einer seiner Schüler, Reiner Strunk, bringt diese Haltung auf den Punkt: “Es gab, bei ihm, der sich aus den Räumen des Gegebenen in noch unvermessene, aber ungemein attraktive Räume des Möglichen fortbewegen wollte, einen Hoffnungsimpuls, den er kräftig beförderte.”
Über die Grenzen der Theologie hinauszudenken und hinauszugehen, das charakterisiert das Wirken Moltmanns. “Das Reich Gottes meint kein utopisches Traumland am Ende der Tage, sondern ein Realsymbol für die geschichtsbewegenden und lebensverändernden Energien des Gottesgeistes; der will die Menschen ergreifen, und sie sollen sich von ihm ergreifen lassen”, so Strunk. Denn, so kann man schlussfolgern: Die Zukunft hat schon begonnen.
“Symbol für einen theologischen Aufbruch”
Jürgen Moltmann verarbeitet bis heute, was die Theologie der Befreiung, was Politische Theologie, aber auch Ökologische Theologie und die Feministische Theologie (zusammen mit seiner Frau Elisabeth Moltmann-Wendel) an Fragen stellen: im Licht der alltäglichen Erfahrungen von Armut, Leid und Ungerechtigkeit. Und seine Antwort? Den Blick für Gottes Möglichkeiten schärfen und Verantwortung übernehmen.
“Frömmigkeit muss wache politische Zeitgenossenschaft nach sich ziehen. Dafür steht der Name Jürgen Moltmann.” Mit diesen Worten würdigte Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm den Tübinger Theologieprofessor Jürgen Moltmann. Anlass war die Verleihung des “Tutzinger Löwen” 2017 im Rahmen einer Tagung, die sich mit Werk und Wirken Moltmanns beschäftige. Für Bedford-Strohm ist Moltmann der “weltweit bekannteste zeitgenössische deutsche Theologe”. Sein 1964 erschienenes Werk “Theologie der Hoffnung” sei zum “Symbol für einen theologischen Aufbruch” geworden, der nachhaltige Wirkung auf die Gesellschaft ausübte. Mit seiner Politischen Theologie mache er klar, “dass es bei dem politischen Reden der Kirche nicht darum gehen kann, bestimmten politischen Konzepten einen Heiligenschein zu geben, sondern darum, Grundorientierungen des christlichen Glaubens diskursiv in die politischen Debatten der Gegenwart einzubringen.” Viel zu oft sei das politische Reden der Kirche nicht wirklich in seiner geistlichen Gründung erkennbar, klagte der Landesbischof. “Gleichzeitig ist klar, dass eine geistliche Erneuerung immer auch Intensivierung des Einsatzes für andere im Persönlichen wie im Politischen heißen muss.”
Kritik an “Religion als Privatsache”
Die Evangelische Akademie Tutzing würdigte mit dem “Tutzinger Löwen” Moltmann als “Theologen mit internationalem Ruf”, der in seiner “Theologie der Hoffnung” überzeugend dargelegt habe, “dass der christliche Glaube Hoffnung weckt und Menschen mobilisiert, sich mit der Welt, wie sie ist, nicht abzufinden. Sein Werk ist von der Vision geprägt, die Grenzen der Wirklichkeit zu überwinden und von der Leidenschaft für das heute schon Mögliche.”
Die Auszeichnung erfülle ihn “mit großer Dankbarkeit und mit tiefer Demut”, so Moltmann damals. In seiner Dankesrede kritisierte er, dass die bürgerliche Welt Religion zur Privatsache erklärt habe, um den öffentlichen Raum vor religiösen Einsprüchen frei zu halten. “Eine christliche Politische Theologie wird heute die Gemeinschaft der Menschheit in den universalen Gefahren stärken und eine Kultur des Lebens gegen das universale Töten fördern”, so Moltmann, der vor einem Widererstarken eines “völkischen Nationalismus” in Deutschland warnte. Je mehr die globalen Gefahren wüchsen, desto weniger seien die partikularen Nationen in der Lage, den Frieden zu sichern. “Die Globalisierung der Lebenswelten ruft nach globaler Verantwortung der Menschheit.”
Kritisch setzte sich der Geehrte auch mit modernen Religionstheorien auseinander, die – wie Karl Marx – Religion als „Opium des Volkes“ betrachteten, um das Elend zu vergessen. Auch bestreite er die Volksweisheit, dass Not Beten lehre. “Nichts davon ist wahr. In Wahrheit ist Religion das Fest, in dem das Leben gefeiert wird, und Beten ist zuerst ein Jubel über das Glück des Daseins.” Freude sei der Sinn alles Lebens. “Das Christentum ist eine einzigartige Religion der Freude”, hob Moltmann hervor. Davon, so darf man ergänzen, dürfte durchaus mehr zu sehen sein…
Udo Hahn
Der Autor ist Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing.
Bild: Preisträger des “Tutzinger Löwen” 2017: der Theologe Jürgen Moltmann (Foto: Haist/eat archiv)
Jürgen Moltmann, umgeben von Landesbischof Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm (links) und Akademiedirektor Udo Hahn (rechts) 2017 im Park der Evangelischen Akademie Tutzing. (Foto: Haist/eat archiv)