Das „schwarze Gold“ glänzt nicht mehr
Der coronabedingte Lockdown hat den Ölmarkt auf links gedreht. Die Folgen sind nicht nur in der Wirtschaftslage ersichtlich, sondern treffen auch die Umwelt- und Klimapolitik. Studienleiter Martin Waßink plädiert dafür, gerade jetzt bei der staatlichen Wirtschaftsförderung neben den Digitalisierungsprozessen auch die 17 globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen in den Fokus zu nehmen. Wie das konkret aussehen könnte, lesen Sie in diesem Blogbeitrag.
„Dreht zum Teufel nochmal Eure Tanker um!“ Hinter einem Ausruf wie diesem vermutet man wohl eher Greenpeace-Aktivisten nach dem Besetzen von Ölplattformen – oder alternativ einen iranischen Kommandeur in Richtung eines US-Transportschiffes in der Straße von Hormus. Weit gefehlt! Es ist ein gewisser Senator Ted Cruz aus dem US-Bundesstaat Texas, der diese Worte in den letzten Apriltagen den Kapitänen von 20 Supertankern zuruft, die mit insgesamt 40 Millionen Fass Rohöl aus Saudi-Arabien auf die USA zusteuern. Wie bitte? Die USA wollen kein billiges Öl?
Es sind Unmengen an Öl, die in einer Gesellschaft mit Ausgangsbeschränkungen und von einer Ökonomie im Lockdown nicht gebraucht werden. Aber bestellt ist bestellt! Und so zeigt das Spiel von Angebot und Nachfrage am Ölmarkt eine seltene Fratze: Der Preis für ein Fass (159 Liter) fällt kurzzeitig auf minus 40 US-Dollar. Dies bedeutet am Ölmarkt, an dem Lieferrechte mit zeitlichem Vorlauf gehandelt werden, dass dem Abnehmer eines Fass Rohöl Mitte Mai im Hafen vom Oklahoma ein ordentlicher Obolus vom Verkäufer oben drauf gelegt werden musste. Lagerkapazitäten sind erschöpft oder sehr teuer und an Tankstellen oder in der Industrie wird das Öl nicht gebraucht.
Warum sich ein Weltkonzern gerade jetzt von Elektromobilität verabschiedet
Negativpreise kennen wir eher aus anderen Zusammenhängen – etwa auf dem Geldmarkt mit Negativzinsen für Banken bei der Zentralbank, welche diese dann (insbesondere für höhere Vermögen auf Girokonten) an Privatkunden weitergeben. Bei weitem sind jedoch die Ausschläge beim negativen Preis für Geld nicht so stark wie beim Preis für Öl: Wenige Wochen nach den Minuspreisen – Anfang Juni – ist der Preis für ein Öl-Fass der Sorte WTI nun wieder auf über 30 US-Dollar gestiegen und damit auf etwa dasselbe Niveau von Ende März. Etwa zu diesem Zeitpunkt zeigte sich an einem denkwürdigen Beispiel sehr deutlich, dass Öl nicht irgendein Gut, nicht irgendein Rohstoff ist – sondern sein Preis massive Signale und Folgeentscheidungen auslöst, die die Zukunft von uns allen betreffen:
Die Deutsche Post AG – mit 63 Milliarden Jahresumsatz und 550 000 Mitarbeiten ein Weltkonzern – stellt die Produktion ihres elektrischen Lieferautos, den StreetScooter, ein: „Insbesondere in Anbetracht des aktuell niedrigen Ölpreises haben Unternehmen beim Einsatz von Elektromobilität heute einen Wettbewerbsnachteil, weil die Anschaffungskosten für E-Fahrzeuge höher sind“ begründet der Vorstandschef, Frank Appel, diese Entscheidung in der ZEIT am 23. April 2020. Das billige Öl lässt Verbrennungsmotoren wieder relativ günstiger werden. Zukunftsfähige, CO2-neutrale Mobilität gerät ins Hintertreffen. Ganz offen spricht Appel von der nächsten folgenreichen Entscheidung im Zusammenhang mit billigem Öl – sozusagen des Pudels Kern dieser Kosten-Nutzen-Entscheidung: „Aktuell bepreisen wir die unerwünschten Konsequenzen der Verbrennungsmotoren nicht angemessen und fördern deshalb die Elektromobilität nicht ausreichend“. Es könnte nahezu als offenes Betteln nach einer angemessenen Internalisierung externer Kosten per Gesetz in die betriebswirtschaftliche Produktionsentscheidung verstanden werden. In jedem Fall als klare Problemanalyse: Wird der Ausstoß von Treibhausgasen teurer, werde er als Chef eines mächtigen Weltkonzerns wieder umweltfreundliche Lieferautos herstellen ohne von seinen Aktionären in die Wüste gejagt zu werden.
Eine adäquate Möglichkeit, die Deutsche Post AG und andere „zu unterstützen“, ökologisch-nachhaltige Entscheidungen zu treffen, ist der CO2-Preis. Die Bundesregierung hat nach langem Ringen mit dem Bundesrat den Preis bei 25 Euro pro Tonne CO2-Ausstoß als Startpreis ab dem Jahr 2021 festgelegt, der bis zum Jahr 2025 auf 55 Euro ansteigen soll. In Schweden liegt der Preis für das Recht, eine Tonne CO2 zu emittieren bei 115 Euro ohne dass die Wirtschaft den Bach runter gegangen wäre. Bedenkt man ferner, dass diese Preisfestlegungen im Laufe des Jahres 2019 beschlossen wurden als der Ölpreis mit Preisen zwischen 55 und 60 US-Dollar etwa doppelt so hoch wie jetzt lag, sind nun wirklich mutige Entscheidungen angesagt.
Nötige Lenkungswirkungen staatlicher Hilfen
Wollen wir wirklich die Krise nutzen, um einen langfristigen und nachhaltigen Rückgang des CO2-Ausstoßes erreichen? Dann braucht es eine wirksamere Lenkungswirkung, da die Opportunitätskosten an den Ölhäfen und Tankstellen rapide gesunken sind. Der angedachte Mechanismus des Zertifikathandels kann durchaus ein probates Mittel sein, welches die Pariser Klimaziele auf effizientem Wege erreicht und Unternehmen belohnt, die sich anstrengen so schnell wie möglich klimaneutral zu produzieren. Das allerdings erscheint nur möglich, wenn keine künstlichen Preisfestsetzungen auf einem inzwischen überholt niedrigen Niveau festgezurrt werden – die jährlich fallende Menge an erlaubtem CO2-Ausstoß gemäß des UN-Klimaabkommen von 2015 muss den Preis eines Zertifikats bestimmen.
Es mag jetzt in Zeiten von Corona auf den ersten Blick widersinnig erscheinen, einen zusätzlichen Kostenblock in die Preiskalkulation von Unternehmen zu treiben. Andererseits besteht gerade in der Krise die Chance, sich bei der staatlichen Förderung wirtschaftlicher Tätigkeit neben Digitalisierungsprozesse auch die 17 globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen bis zum Jahr 2030 in den Fokus zu nehmen:
- Die über Wochen verhandelte Form der staatlichen Beteiligung an der Lufthansa AG sollte an eine konkrete Dekarbonisierungsstrategie der Fluglinie geknüpft werden, die über die aus Wettbewerbsgründen mit der EU-Kommission vereinbarte Abgabe einer Handvoll Start- und Landerechte an zwei deutschen Drehkreuzen hinausgeht. Eine Orientierung könnte die französische Staatshilfe bieten, die AIR France verpflichtet, den Binnenflugverkehr auf jenen Strecken zu reduzieren, die auch Hochgeschwindigkeitszüge bedienen. Das Ziel sollten somit weniger Flugzeuge sein, die dann ferner weniger CO2 pro geflogener Flugmeile ausstoßen.
- Die diskutierte Kaufprämie für Neuwagen sollte direkt an die Menge der ausgestoßenen Menge an CO2 eines Modells gebunden werden – und unter dem EU-Grenzwert für 2021 von durchschnittlich 95 Gramm CO2 für neu zugelassene Fahrzeuge liegen. Die Produktion von Hybrid- und Elektrofahrzeugen würde so gefördert. Die deutschen Hilfsprogramme für die Autoindustrie, sofern man diese Schlüsselindustrie gegen den Rat von Wirtschaftsweisen tatsächlich besonders fördern möchte, sollten sich insgesamt am ersten Entwurf der EU Kommission für den „New Green Deal“ orientieren: Dieser konzentriert sich – neben weiteren Maßnahmen – die Förderung auf umweltfreundliche Fahrzeugtypen. Kritisch ist, dass der Entwurf nicht genau definiert, was unter „Clean Vehicles“ zu verstehen ist.
- Der Sustainable Finance-Beirat der Bundesregierung fordert in seiner Empfehlung zur Konzeption von Konjunkturprogrammen, dass Unternehmen bei den KfW-Kreditprogrammen einen Tilgungszuschuss am Laufzeitende ihrer Kredite bekommen sollen. Recht hat er. Diese Steuermittel würden dann gewährt, wenn das jeweilige Unternehmen in Maßnahmen investiert hat, die der Einhaltung des 1,5-Grad-Erwärmungsziels des Pariser Klimaschutzabkommens dienen.
Der Leitgedanke für alle staatliche Hilfsmaßnahmen sollte in jedem Fall ein europäischer sein: Konkret ist die Agenda der sogenannten „EU taxonomy“ zu berücksichtigen. Diese wurde noch im März vor Beginn der Corona-Krise fertig gestellt und misst anhand konkreter Umweltziele, ob Finanzströme zu einem effizienten Einsatz von Ressourcen führen und keine Umweltschäden auslösen. Diese Agenda ordnet somit ökonomische Aktivität nach umweltfreundlichen Kriterien.
All diese Maßnahmen können auch dazu dienen, dass sich Unternehmen technologisch als Vorreiter präsentieren. Und nicht zuletzt freuen sich Mutter Erde und unsere Kinder und Enkel. Bei genauerem Hinsehen und geeigneter politischer Entscheidungen ist die Vorstellung von sehr viel weniger Öltankern, die über die Weltmeere schippern, dann gar nicht mehr so abwegig.