LULUS REBELLISCHE SINNENLUST, SÜNDE ODER GESCHÖPFLICHKEIT
Lust haben, Lust stillen, das ist eine köstliche Erfahrung. Doch wie ist das: haben wir Lust oder hat die Lust uns? Sie kommt, sie geht wie sie will. So unverfügbar, unkontrollierbar, so anarchisch ist sie. Vor allem: vieles macht Lust. In ihr berühren sich die Extreme vom Rausch der Zeugung bis zum Taumel der Zerstörung.
In dubio pro libido? Das Sprachspiel witzelt, wie umkämpft die Lust ist. Ob Inquisition oder Prostitution, Verbot wie Verkauf der nackten Wahrheit, ob Dogma „du sollst nicht begehren“ oder Konsum „du sollst pausenlos begehren“, ob tabufreier Sex im Netz oder das intime Geheimnis der Liebenden – Sinnlichkeit ist Rätsel, Sprengstoff, Panoptikum des Menschlichen.
So auch in Frank Wedekinds Lulu, einer 1894 abgeschlossenen fünftaktigen „Monstretragödie“. Was wollen die Körper, den Zwängen aus Moral, Bildung, Religion zum Trotz? Alban Berg hat um Lulus Eros eine fulminante Oper gemacht – Skandal in welcher Inszenierung auch immer. Lulu, bei Wedekind wie Berg „das schöne wilde Tier“, rafft die abendländische Kultur zusammen: ist die Sinnenlust die Sünde oder ist es ihre Austreibung aus der geschöpflichen Nähe zu Gott?
Anlässlich der Neuproduktion von Alban Bergs Lulu an der Bayerischen Staatsoper unter der Musikalischen Leitung von Generalmusikdirektor Kirill Petrenko und dem Regisseur Dmitri Tcherniakov kreist der sinnliche Mai Lulu und aller Menschen Lust von verschiedenen Gesichtspunkten ein, historisch, assoziativ, musikalisch, theologisch, sehr frei und offen: Kunst als erster, letzter Ort neuerlebbarer Lust und hoffnungsvollen, freigeistigen Begehrens?
Zur Auseinandersetzung mit unseren Obsessionen laden wir alle Interessierten sehr herzlich ein in die Evangelische Akademie Tutzing am Starnberger See.
Rainer Karlitschek, Miron Hakenbeck
Dramaturgie-Team der Bayerischen Staatsoper
Pfr. Dr. phil. Jochen Wagner, Studienleiter, Evangelische Akademie
Tutzing